Mit einem Taschenmesser legal durch die Stadt bummeln, geht das in Deutschland anno 2025 noch? Es geht, wenn du ein Slip-Joint führst, den ÖPNV meidest und keine der Rot-Gelb-Grünen Waffenverbotszonen betrittst. Das Besondere an Taschenmessern der Bauform Slip-Joint ist, dass die geöffnete Klinge nicht mechanisch arretiert wird, sondern nur durch Federkraft offengehalten wird. Das Multiverse von CornCraft Knives versucht den Spagat zwischen legalem Taschenmesser und alltagstauglichem EDC. Knife-Blog hat das neueste Werk von David Korn ausgiebig getestet.
Inhalt und Übersicht
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Euch ist sicherlich aufgefallen, dass viele Slip-Joint kleine, zierliche Messerchen sind, die nur als Ergänzung eines EDC mit feststehender Klinge oder eines „richtigen“ Taschenmessers geeignet sind. Gentleman-Folder nennt der Messervolksmund die kleinen Helfer, die im Abendanzug eine gute Figur machen, aber bei Alltagsaufgaben unversehens an ihre Grenzen stoßen.
Das Multiverse von CornCraft Knives schwimmt gegen diesen Strom und präsentiert sich mit einer Klingenlänge von 89 Millimetern als ausgewachsenes Taschenmesser für den Alltag. Den Slip-Joint-Mechanismus vermutet man nach dem ersten Eindruck nicht, denn optisch ähnelt das Multiverse eher einem typischen „Fullsize“ Einhandmesser als einem Slip-Joint. Auch die dreieckige Klingenbohrung, die bereits bei geschlossener Klinge dominant in Erscheinung tritt, unterstützt den „Anfangsverdacht“ auf ein klassisches Einhandmesser.
Multiverse von CornCraft Knives
Stichwort Anfangsverdacht. Wenn ein Messerhersteller kurz nach einer Verschärfung des Waffenrechts (Knife-Blog berichtete) ein Slip-Joint auf den Markt bringt, das nach Einhandmesser aussieht, könnte man den Verdacht hegen, dass auf die Schnelle nur ein früher gezeichnetes Einhandmesser zum „Slipi“ umgefriemelt wurde. Auch wenn diese Praxis bei vielen Herstellern zu beobachten ist, das Multiverse von CornCraft Knives fällt nicht in diese Gruppe. Im Gegenteil. Selten dürfte ein Slip-Joint akribischer geplant, berechnet und gezeichnet worden sein, als es Designer David Korn getan hat.

Bevor wir tief in die Details von Drehmomenten und Kraftwinkeln einsteigen, zunächst eine Übersicht der technischen Daten und Maße des Messers. Die Klingenlänge beträgt die bereits erwähnten 8,9 Zentimeter und besitzt eine Stärke von drei Millimetern. Die Gesamtlänge des geöffneten Messers beträgt exakt 20 Zentimeter. Von den elf Zentimetern Grifflänge stehen Hand und Fingern 95 Millimeter zur Verfügung. Selbst Pranken mit Handschuhgröße 10 finden am Griff des Multiverse genügend Platz und können den Griff bequem umschließen. Menschen mit kleineren Händen bleiben nicht außen vor; das Griffdesign bietet beiden Gruppen gute ergonomische Eigenschaften.
Klinge und Klingenstahl
Betrachtet man das geschlossene CornCraft Multiverse, fällt sofort die deutlich über den Griff herausragende Klinge ins Auge. Unweigerlich vermutet man eine Hawkbill-Klinge mit konkav geformter Schneide. Doch nur der gebogene Klingenrücken weist dezente Ähnlichkeit mit dem charakteristischen Raubvogelschnabel auf. Tatsächlich verbirgt sich zwischen den Griffschalen eine Klinge in Insingo-Form mit fein ausgeschliffener Spitze und steil ansteigendem Klingenrücken. Insingo-Klingen wurden durch Chris Reeve bekannt und haben sich durch ihre Vielseitigkeit bei Messern für den Alltagseinsatz einen festen Platz erobert.
David Korn ist ein Tüftler, der jedes Design bis an die Grenzen des Machbaren optimiert. Zu dieser Grundhaltung gehört nicht nur die perfekte technische Umsetzung, für die im Fall des Multiverse die chinesische Firma Reate bürgt. Auch der Materialwahl misst David große Bedeutung bei. Deshalb verwundert nicht, dass er sich beim Klingenstahl für den pulvermetallurgischen Stahl CPM-MagnaCut entschieden hat. MagnaCut haben wir auf Knife-Blog nicht nur vorgestellt, sondern auch auf die Vorzüge dieses Stahls in anderen Reviews bereits ausdrücklich hingewiesen. Daher genügt an dieser Stelle ein einziger Satz: MagnaCut ist derzeit mit Abstand der beste Stahl für Taschenmesser dieser Größe.
Beim Anschliff der Klinge lässt Reate erwartungsgemäß keine Punkte liegen. Auch in diesem Punkt genügt ein knappes Statement: Beide zum Test vorliegende Multiverse Messer besitzen perfekt geschliffene Klingen. Signifikante Exemplarstreuungen sind bei von Reate hergestellten Messern ohnehin nicht zu erwarten.
Material- und Verarbeitungsqualität
Bei den technischen Daten dürfen die 108 Gramm nicht unerwähnt bleiben, die das Messer auf die Waage bringt. Das ist wenig für zwei Titan-Griffschalen mit Inlays und einer stattlichen Klinge. Das geringe Gewicht erzielt David Korn nicht durch Einsparungen bei der Materialqualität oder andere fragwürdige Kunstgriffe, sondern durch eine durchdachte und technisch raffinierte Skelettierung der Innenseiten beider Griffschalen. Im Gegensatz zu Einhandmessern, bei denen der Verriegelungsmechanismus der Skelettierung Grenzen setzt, steht bei einem Slip-Joint die gesamte Innenfläche beider Griffschalen für die Skelettierung zur Verfügung.

Die Gewichtsersparnis wirkt sich nicht negativ auf Alltagstauglichkeit oder Lebensdauer des Multiverse aus, denn zu sehr abgespeckt hat David Korn sein neues Messermodell nicht. Demontiert zeigen sich in allen Bereichen solide Materialstärken, und in der Handhabung erweist sich das Multiverse als robust und stabil.
Die Klinge des Multiverse läuft zwischen Bronze-Washern. In Zeiten, in denen selbst Budget-Messer über Kugellager verfügen, klingt dies wie Sparen am falschen Ende. Doch der Eindruck trügt, denn die kleinen halb offenen Kugellager für Taschenmesser kosten faktisch nichts. Der Grund ist technischer Natur. Stabile Kugellager sind deutlich breiter als die Unterlegscheiben und hätten entweder zu einer breiteren Konstruktion oder zu Ausfräsungen in Griff oder Klingenwurzel geführt. Beides hätte den Charakter des Messers verändert. Entwarnung: Die Klinge des Multiverse läuft sanft, gleichmäßig und spielfrei – ein Kugellager vermisst man an diesem Slip-Joint nicht.
Beim Zusammenbau des Multiverse fällt auf, dass Reate alle Komponenten mit bemerkenswerter Präzision fertigt. Bei der Anpassung von Klinge, Griffschalen und der Federstange wird kein Zehntel verschenkt. Selbst wenn die Griffschalen nicht verschraubt sind, wackelt oder klappert an diesem Messer nichts. Das ist Fertigungstechnik vom Feinsten! Selbst Klingenspiel ist im halbmontierten Zustand nicht feststellbar. Da bleibt der Mund vor Staunen offen, denn selbst die Top-Liga der US-Hersteller erreicht dieses Niveau nicht immer.
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Multiverse Öffnen und Schließen
Slip-Joints werden durch das Fehlen einer Klingenarretierung charakterisiert. Stattdessen wird das Einklappen der Klinge per Federspannung mit einer Gegenkraft belegt, sodass ein Widerstand überwunden werden muss, bevor die Klinge ihren Endanschlag verlässt.
Diese Grundeigenschaft der Slip-Joints ist in den letzten Jahren etwas ins Wanken geraten, denn einige Hersteller haben die Federkraft inzwischen so weit erhöht, dass die Klinge nur mit hohem Kraftaufwand einklappbar, also faktisch verriegelt ist. Knife-Blog liegen Berichte vor, dass Slip-Joints mit „Monsterfedern“ bereits in Einzelfällen beanstandet wurden. Da es keine Richtwerte hinsichtlich der Haltekraft von Federmechanismen gibt, begibt man sich mit solchen Messern zumindest in eine Grauzone.
Diese Gefahr besteht beim Multiverse von CornCraft nicht, denn die Federkraft ist so bemessen, dass sie einerseits die Klinge sicher am Anschlag fixiert und dennoch mit moderatem Kraftaufwand geschlossen werden kann. David Korn hat einen guten Kompromiss zwischen der Legalität eines Slip-Joints und dem notwendigen Schutz vor unbeabsichtigtem Einklappen der Klinge gefunden.

Um dieses Ziel zu erreichen, waren zahlreiche Berechnungen und Praxistests nötig, die weit über die üblichen Entwicklungstechniken der meisten Klappmesser hinausgehen. Im Fall des Klingengangs sowie der Kräfte beim Öffnen und Schließen hat David Korn die Finite-Elemente-Methode (FEM) angewendet. Dahinter verbirgt sich ein numerisches Verfahren zur Untersuchung von Festigkeits- und Verformungsdaten bei Festkörpern mit geometrisch komplexer Form. Das sei nur erwähnt um zu verdeutlichen, dass David bei der Entwicklung seiner Messer nichts, aber auch rein gar nichts dem Zufall überlässt. Selbst eine oberflächliche Beschreibung seiner Berechnungen würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Wer sich tiefer in die Materie einlesen möchte, findet auf den Webseiten von Corn Craft Knives ausführliche Erklärungen nebst schematischer Zeichnungen.
Modelle, Preise und Fazit
Wie bereits beim Modell „Neutron Star“ bietet CornCraft Knives auch das Multiverse in unterschiedlichen Varianten an. Dabei beziehen sich die Unterschiede nicht auf die Konstruktion oder technische Eigenschaften, sondern auf optische oder haptische Merkmale. Als Klingen-Finish kann der Käufer zwischen dem rustikalen Stonewash und einer feinen Satinierung wählen. Ersteres punktet durch geringere Sichtbarkeit oberflächlicher Kratzer, letzteres sieht eine Spur edler aus und wird nicht nur die Fans nobler Gentleman-Folder überzeugen.
Die Inlays auf beiden Halbschalen des Titan-Griffs sind austauschbar. Nach dem Entfernen zweiter Torx-Schrauben (T8) lassen sich die Inlays abnehmen. Verklebt sind die Inlays nicht, aber sie sind so präzise eingepasst, dass sie auch nach dem Lösen der Schrauben nicht herausfallen und vorsichtig angehoben werden müssen.
In seinem Online-Shop bietet CornCraft Knives das Multiverse wahlweise mit Stonewash-Klinge und Inlays aus Titan oder mit satinierter Klinge und Carbon-Inlays an. Als Zubehör sind Inlays aus Titan, Carbon (Marble Carbon), grünem oder braunem Micarta oder aus orangefarbenem G-10 bestellbar. Die Preise liegen, je nach Material, zwischen 29,- und 45,- Euro pro Set (Inlays für Front- und Rückseite). Erfreulich ist, dass CornCraft Knives für 12,- Euro auch ein komplettes Schraubenset anbietet. Wer sich schon einmal über die Ersatzteil-Abzocke einiger Messerhersteller geärgert oder monatelang auf ein Schräubchen gewartet hat, wird diesen Service zu schätzen wissen.
Beide Versionen des Multiverse kosten 389,- Euro. Das mag auf dem ersten Blick recht saftig klingen, doch wenn man die Qualität des Messers in Verhältnis zur Konkurrenz betrachtet, relativiert sich der Preis. Das Impinda, ein Slip-Joint von Chris Reeve Knives, ist in keinem Punkt besser, bietet keine Möglichkeit zur nachträglichen Individualisierung und kostet in Deutschland rund 200,- Euro mehr. Mit MagnaCut und Titan bietet das Multiverse auf der Materialseite nur erste Wahl und die robuste Konstruktion des Taschenmessers verspricht ein langlebiges Produkt.
Schließlich und endlich gibt das Multiverse auch beim Swag-Faktor manch namhafter Konkurrenz das Nachsehen. Beim Swag-Faktor wird subjektiv bewertet, wie ansprechend (oder „geil“) das Messer ist, wie gern man es zur Hand nimmt, wie selten es ist und wie Messerfans reagieren, wenn sie es zum ersten Mal in die Hand bekommen. Auch die optische und technische Eigenständigkeit sowie die Freude am Arbeiten mit dem Messer fließt in diese Bewertung ein. Top-Klingenstahl, eine ausgereifte Konstruktion, ausgezeichnete Ergonomie und ein hoher Swag-Faktor vereinen sich im Multiverse zu einem stimmigen Ganzen. Da wird der Anschaffungspreis fast zur Nebensache.
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Links, technische Daten und Bewertung
Links zum weiterlesen:
- Hersteller: Corn Craft Knives
- Bezugsquelle: CCK Online-Shop
- Klingenstahl: MagnaCut
- Begriffe und Übersetzungen: Knife-Blog Lexikon
Multiverse Maße und Gewichte
- Bauform: Slip-Joint mit Einhandöffnung
- Klingenlänge / -stärke: 89 mm / 3 mm
- Klingenstahl: CPM MagnaCut (63 HRC)
- Klingenfinish: Stonewash oder satiniert
- Griffmaterial: Titan
- Länge offen / geschlossen: 200 mm / 115
- Gewicht: 108 Gramm