Das Schärfen der Klingen großer Kochmesser oder EDC stellt die meisten Anwender vor unlösbare Probleme. Selbst teure Schärfsysteme scheitern an dieser Aufgabe und das freihändige Schleifen langer Klingen auf Wassersteinen erfordert viel Übung. Für diese Aufgabe bietet die deutsche Firma HORL ihren Rollschleifer an und verspricht optimale Ergebnisse. Ob der HORL Rollschleifer den misslungenen Werksschliff des Gyuto auf dem Titelbild in einen sauberen Grundschliff verwandeln kann und für welche Messer der HORL geeignet ist, hat Knife-Blog intensiv getestet.
Inhalt und Übersicht
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Veröffentlicht: 14.07.2024
Es begann mit einem kurzen Blick und einem ebenso kurzen Kopfschütteln. Vor ein paar Jahren auf der IWA Outdoor Classics präsentiert ein schick designter Messestand ein einziges Produkt: Einen adrett gestalteten Zylinder in Holzoptik mit Schleifscheiben an beiden Enden. Der HORL Rollschleifer wirkt unspektakulär, soll aber Klingen hochwertiger Messer präzise schleifen können. Zweifel machen sich breit, doch im nächsten und übernächsten Jahr sind Aussteller und Produkt wieder auf der Messe. Wir beschließen, den HORL 2 Rollschleifer für euch zu testen und erleben dabei ein paar echte Überraschungen.
Schleifgeräte für Messer gibt es in den Shops zuhauf. Das Angebot reicht vom einfachen Diamantstab fürs Outdoor-Gepäck über klassische Bandschleifer bis zum futuristischen Alleskönner, der für ein paar Tausender sämtliche Klingen aufs Zehntelgrad genau schleifen soll. Doch Schleifwinkel mit Nachkommastellen braucht im Alltag niemand, viel schöner wäre ein Schleifgerät, mit dem sich Messerklingen ohne Spezialkenntnisse schnell und einfach auf optimale Schärfe bringen lassen.
Der HORL Rollschleifer
Die Idee zu diesem Messerschärfer trieb Otmar und Timo Horl aus Freiburg schon vor gut 20 Jahren um. Jahrelang haben die beiden Schwarzwälder getüftelt und einen Lösungsansatz gefunden, der weltweit einzigartig ist.
Brauchbare Schleifgeräte für Messerklingen folgen entweder dem Prinzip eines Bandschleifers oder verfügen über starre Schleifmedien, die mechanisch in einem voreingestellten Winkel geführt werden (u. a. Work Sharp Professional, Wicked Edge).
Der HORL Rollschleifer ist anders, stellt bei genauer Betrachtung aber eine Symbiose aus beiden Systemen dar. Ein in Rotation versetztes Schleifmittel trägt in einem vorgegebenen Winkel Material an der Schneidfase einer Klinge ab.
Nachdem das Grundkonzept realisiert war, spielte die Materialauswahl eine entscheidende Rolle in der Entwicklungsphase. Timo Horl entschied sich für hochwertige Komponenten, darunter Edelstahl für die Grundkonstruktion und Diamantbeschichtungen für die Schleifscheiben, um Langlebigkeit und zufriedenstellende Schärfergebnisse zu gewährleisten.
Aufbau, Technik und Funktion
Dass hinter dem HORL Rollschleifer mehr als nur ein Holzzylinder mit diamantbesetzten Endkappen steckt, klärt sich schon beim Erstkontakt. Tatsächlich verbirgt sich im Inneren eine komplexe Getriebekonstruktion aus Wellen und Zahnrädern, die die Schleifscheiben in Rotation versetzen, wenn man den HORL auf einer glatten Oberfläche hin-und-her rollt. Schnell wird klar, der HORL Rollschleifer ist weder Gimmick noch Gadget, sondern ein ausgefeiltes Stück Präzisionstechnik, in dem eine Menge Gehirnschmalz steckt.
Natürlich dient die komplexe Mechanik im Inneren des Rollschleifers einem Zweck. Rollt man den HORL-Schleifer über eine Unterlage, wird die Rotation durch ein Untersetzungsgetriebe im Verhältnis 1:3 auf die diamantbesetzte Schleifscheibe übertragen. Mit Drehmoment, Vektoren, Hebeln und beschleunigter Rotation steckt der Rollschleifer voller Physik, über die man sich als Anwender glücklicherweise keine Gedanken machen muss.
Betrachtet man den HORL Rollschleifer von außen, bleiben seine Mechanik und das Untersetzungsgetriebe verborgen. Tatsächlich beinhaltet die Konstruktion reichlich Physik und Feinmechanik.
Einfach gesagt: Das Schleifmittel dreht sich durch das innen liegende Getriebe dreimal schneller, als sich die zylindrische Oberfläche über die Unterlage bewegt. Dadurch erhöht sich die Effizienz beim Materialabtrag an der Schneidfase, was nicht nur der Zeitersparnis dient.
Messerklingen mit dem HORL Rollschleifer schärfen
Trotz aller Physik sind Funktion und Bedienung des Messerschleifers einfacher als vermutet. Zum Lieferumfang gehört eine „S-PAD“ genannte Halterung, an der Messerklingen mittels kräftiger Neodym-Magneten in einem definierten Winkel befestigt werden. An der einen Seite gibt die Halterung einen Schleifwinkel von 15° Grad vor, auf der gegenüberliegenden Seite sind es 20° Grad. Beide Schleifwinkel sind unveränderbar; Zwischenstufen gibt es keine. Ist das sinnvoll?
Für die meisten Anwender und Anwendungen ist die Limitierung auf nur zwei verschiedene Schleifwinkel völlig ausreichend, auch wenn mancher Messerfreak eine stufenlose Verstellung des Schleifwinkels bevorzugen würde. Tatsächlich reichen zwei Schleifwinkel für die allermeisten Messertypen aus: 15° Grad für Küchenmesser und 20° Grad für Taschenmesser und EDC mit feststehender Klinge können dabei als praxistaugliche Richtwerte gelten.
Die Beschränkung auf zwei vorgegebene Schleifwinkel minimiert mögliche Fehler, die durch den Anwender oder durch sich während des Schleifens lösende Einstellschrauben verursacht werden. Verstellen kann sich beim HORL Rollschleifer nichts, der Schleifwinkel bleibt immer gleich, wenn der Klingenrücken des Messers vom „S-PAD“ gehalten wird und auf einer geraden Unterlage liegt.
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Der Schleifvorgang mit dem HORL Rollschleifer
Wenn man die Verwendung eines Messerschärfers mit zwei Sätzen erklären kann, ist das ein gutes Zeichen für eine einfache, praxistaugliche Konstruktion. Der Rollschleifer gehört in diese Gruppe:
- Auf einer ebenen und nicht zu kleinen Arbeitsfläche das Messer je nach gewünschtem Schleifwinkel an der 15° oder 20° Grad Seite des „S-PAD“ anlegen und die Diamantseite des Rollschleifers an der Schneidfase in einer Rollbewegung entlangführen, bis eine winkelstabile Fläche entsteht.
- Das Messer mit der anderen Klingenseite am „S-PAD“ anlegen und den Vorgang wiederholen. Zum Abschluss die Schneidfasen auf beiden Seiten mit der Abziehscheibe glätten. Fertig.
Wer einen Rubinstab, einen Streichriemen oder den kürzlich auf Knife-Blog vorgestellten XADR besitzt, kann die frisch geschliffene Schneide ein-, zweimal abziehen. Alternativ bietet HORL im Webshop auch Polierscheiben in unterschiedlichen Körnungen an, mit denen sich die Schneidfase glätten und – wenn gewünscht – auf Spiegelglanz polieren lässt.
Ideal für große Kochmesser
Die Paraderolle des Rollschleifers ist das Nachschärfen von großen Küchenmessern mit Glattschliff. Viele – auch sehr teure – Schleifgeräte müssen bei Santoku, Gyuto, Yanagiba und Usuba aufgrund der Klingenlängen passen. Bei vielen geführten Schleifsystemen wie dem Wicked Edge, müsste man jede Klingenseite in mindestens zwei Durchgängen schleifen, da die Klingen der Kochmesser länger sind als der Bereich, den die Schleifstäbe abdecken können.
Das Umspannen der Klinge mitten im Schleifvorgang kann zu einer Vielzahl von unerwünschten Effekten führen, wobei die Spanne von unterschiedlichen Schleifwinkeln bis zu einer Ansatzkante mitten in der Schneide reicht. Diese Gefahr droht beim HORL Rollschleifer nicht, denn die schleifbare Klingenlänge ist technisch nicht limitiert.
Auch bei der Einhaltung des Schleifwinkels hängt der HORL Rollschleifer viele andere Konstruktionen ab. Bei fast allen geführten Schleifsystemen weicht der Schleifwinkel zur Klingenspitze und in Richtung Griffansatz stark vom voreingestellten Wert in der Klingenmitte ab. Knife-Blog hat diese Problematik am Beispiel des Wicked Edge Systems vor einiger Zeit ausführlich beschrieben.
Hohlschliffe stellen kein Problem dar, da der HORL Rollschleifer nur die Schneidfase bearbeitet. Auch Klingen mit Scandi-Grind kann der Rollschleifer problemlos bearbeiten.
Erstaunlicherweise lässt sich mit dem HORL Rollschleifer mühelos ein Grundschliff fertigen. Selbst bei langen Klingen ist der Zeitaufwand deutlich geringer als vermutet. Bei einem MKM Prima Gyuto mit 20 Zentimeter Klinge ließ sich der etwas rustikale Werksschliff in kaum mehr als 15 Minuten in einen gleichmäßigen, winkelstabilen Grundschliff verwandeln.
Die kurze Bearbeitungszeit mit der feinen Diamantschleifscheibe erklärt sich allerdings zu einem Teil durch die geringe Härte des von MKM verwendeten Klingenstahls X50CrMoV15. Der Stahl bringt es auf 54 bis 56 HRC und fordert die Diamantscheibe kaum. Beim härteren Stählen ist sind längere Bearbeitungszeiten zu erwarten, aber auch MagnaCut (65 HRC) lässt sich mit dem HORL Rollschleifer noch zufriedenstellend bearbeiten.
Wofür eignet sich der HORL Rollschleifer nicht?
Die eingangs erwähnte Limitierung auf zwei Schleifwinkel dürfte für viele Anwender kein Problem darstellen, denn mit einem Schleifwinkel von 15° Grad macht man bei Küchenmessern aus ordentlichem Stahl nichts verkehrt. Nicht anders verhält es sich bei Taschenmessern und Fixed Blades für den EDC-Alltag, beide Messertypen sind für einen Schleifwinkel von 20° Grad prädestiniert.
Schwierig wird der Einsatz des Rollschleifers bei Spezialmessern und ausgefallenen Klingenformen. Eine American-Tanto-Klinge mit gerader Hauptschneide lässt sich zumindest noch teilweise schleifen, bei Messerklingen mit Nightmare Grind oder Recurve kann der HORL Rollschleifer nicht verwendet werden. Nur der Vollständigkeit halber: Wellenschliffe oder ballige Anschliffe, wie man sie bei Bushcraftern oder Survival-Messern einsetzt, kann der HORL Rollschleifer nicht bearbeiten.
Einige Einschränkungen ergeben sich nicht aus der Gestaltung des Rollschleifers, sondern aus der Gestaltung der Halterung, dem „S-PAD“. Damit eine Klinge geschliffen werden kann, muss sie auf einer Länge von knapp sechs Zentimetern mindestens 24 Millimeter hoch sein. Bei geringerer Klingenhöhe würde die Schneidkante das „S-PAD“ nicht überragen, wenn der Klingenrücken auf der Arbeitsplatte aufliegt. Theoretisch wäre denkbar, eine schmale, am „S-PAD“ hängende Klinge über der Unterlage schweben zu lassen oder mit Holzscheibchen zu unterfüttern, wovon wir allerdings ausdrücklich abraten. Für kleine Taschenmesser, Filettiermesser, Ausbeiner, Dolche, Kaiken und andere Messer mit langen, schmalen Klingen ist der HORL Rollschleifer aktuell nicht geeignet.
Weitere Einschränkungen können sich aus Form, Breite und Gestaltung des Messergriffs ergeben. Voluminöse Griffschalen oder Verzierungen können so breit ausfallen, dass sie in Kontakt mit dem Rollschleifer kommen und schlimmstenfalls beschädigt werden oder das Schleifen der letzten ein, zwei Zentimeter der Schneide verhindert wird.
Fazit, Preise und Bewertung
Der HORL Rollschleifer ist kein Alleskönner, sondern ein Spezialist. Spezialisiert auf mittelgroße und große Küchenmesser sowie auf alle Folder und Fixed Blades, deren Klingen groß genug sind, um am „S-PAD“ sicheren Halt zu finden. An diesen Messern, und das hat uns wirklich erstaunt, sind die Schleifergebnisse hervorragend. Bei langen Klingen hängt der Rollschleifer die meisten Systeme mit geführten Schleifstäben nicht nur bei der Bearbeitungszeit, sondern sogar bei der Qualität des Anschliffs ab.
Kein Schleifgerät, das Knife-Blog jemals getestet hat, ermöglicht einen schnelleren und unkomplizierteren Einsatz als der HORL Rollschleifer. Kein Aufbau, kein Einmessen, kein Ausrichten von Messer und Schneide per Wasserwaage und vor allem kein Klapperatismus aus Schrauben, Schräubchen und justierbaren Kleinteilen. Entsprechend schnell ist der Rollschleifer einsatzbereit. Messerklinge auf einer ebenen Unterlage am „S-PAD“ anlegen, Rollschleifer an die andere Seite und schon läuft der Schleifvorgang mit konstantem Schleifwinkel.
Während der Rollschleifer mit seiner unsichtbaren, aber ausgefeilten Mechanik und guter Handhabung glänzt, gibt es beim „S-PAD“ noch Entwicklungsmöglichkeiten. Eine zweite Magnethalterung, die das Schleifen kürzerer und schmalerer Klingen ermöglicht, würde das Einsatzspektrum des Rollschleifers deutlich erhöhen. Wir könnten uns vorstellen, dass die kreativen Geister bei HORL in absehbarer Zukunft geeignete Lösungen entwickeln.
Bei Küchenmessern mit Klingenlängen oberhalb von 18 Zentimetern und schmalem Klingenrücken reicht bereits ein sanfter Druck mit dem Rollschleifer, um die Klinge leicht zur Seite zu biegen. Das ruiniert den Anschliff nicht, führt jedoch unweigerlich zu einem inkonstanten Schleifwinkel vor allem im Bereich der Klingenspitze. Auch wenn die Winkeländerung gering ausfallen mag, ist sie unerwünscht und darüber hinaus für jedes geschulte Auge sichtbar. Eine Magnethalterung mit breiterer Auflagefläche könnte diesen Effekt verhindern.
Der HORL 2 Rollschleifer wird in den Varianten „Nussbaum“ und „Eiche“ mit farblich passendem „S-PAD“ im Webshop des Herstellers für 159,- Euro angeboten. Dafür erhält man ein technisch ausgereiftes und gut funktionierendes Schärfsystem, das Klingen mit passender Geometrie auf perfekte Schärfe bringen kann. Wer seine Kochmesser selbst schleift, wird von der einfachen Handhabung und den Ergebnissen begeistert sein. Mit einem zweiten „S-PAD“ für kleine Klingen hätte sich der HORL Rollschleifer in die Nähe einer 5-Sterne-Wertung katapultiert.
Links zum weiterlesen
- HORL: Website und Shop
- Knife-Blog Rubrik: Messer schärfen
- Knife-Blog Thema: Messer für die Küche
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