Über Langeweile können sich Messerfreunde im Hochsommer 2016 nicht beklagen. Mitten in die Urlaubszeit platzt CRKT mit der Ankündigung zweier hochwertiger Limited Editions und Rick Hinderer präsentiert eine neue Variante seines XM-24 Folders. Greg Medford kommt fast wöchentlich mit Designvarianten seiner Messer, die Fans den Atem stocken lassen. Auch Spyderco gibt sich Mühe, die Szene zu beleben, und ist dabei erfolgreicher als alle Vorgenannten. Das Spyderco Nirvana teilt die Messerwelt in Befürworter und Gegner, die Diskussionen sind hitzig. Sind 700 Dollar für ein Messer aus Serienfertigung noch gerechtfertigt?
Inhalt und Übersicht
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Friede, Freude, Eierkuchen und die Messerszene genießt friedlich vereint Sommer und Urlaubszeit. Denkste, das Gegenteil ist der Fall und in den sozialen Netzwerken geht es hoch her. Kritiker und potentielle Liebhaber des neuen Spyderco Modells C199TIP Nirvana schlagen sich Pro-und-Contra Argumente um die Ohren, wobei der Riss quer durch die internationale Messerszene geht.
Welches bahnbrechende Konzept steht also hinter einem Messer, das überall kontrovers diskutiert wird? Das Bemerkenswerte an diesem Messer sind weder sein Design noch die verwendeten Materialien, bemerkenswert ist einzig und allein sein Preis.
Stolze 719.00 Dollar gibt Spyderco auf seiner Homepage als empfohlenen Verkaufspreis (MSRP) an, der deutsche Importeur ACMA weist einen Verkaufspreis von 768,90 Euro auf seiner Homepage aus. Schnäppchen oder Abzocke? Die Reaktionen der Messerfans reichen von „absolut gerechtfertigt“ bis „Frechheit“.
Preismonster: Spyderco Nirvana
Deutlich über siebenhundert Dollar ist eine Preisregion, in der handgefertigte Messer und noble Kleinserien bisher unter sich waren. Die Entscheidung von Spyderco, ein Serienmesser in dieser Preisgruppe anzubieten, hat höchst unterschiedliche und teilweise vehemente Reaktionen ausgelöst.
Als Messerfreund hat man den Eindruck, dass in den letzten zwei Jahren von allen Seiten mit steigender Intensität an der Preisschraube für Serienmesser gedreht wird. Hier eine „Limited Edtion“ zum vierfachen Preis des Serienmodells, dort ein „neues“ Konzept, das einen Preisaufschlag von 30 Prozent gegenüber dem Vorgänger mitbringt. Spyderco ist beileibe nicht die einzige Firma, die zur Zeit heftig am Preisrad dreht aber mit dem Nirvana scheint man den Bogen bei vielen Messerfreunden überspannt zu haben.
Das Spyderco Nirvana polarisiert die Messerwelt und hat eine Diskussion über die Preise von Serienmessern ausgelöst.
Aufbau und Technik des Spyderco Nirvana
Das Messer selbst ist optisch durchaus gelungen und beruht auf dem Entwurf von Peter Rassenti, einem amerikanischen Produzenten von Customs und Midtech-Modellen. Rassenti ist bekannt für seine Integralgriffe, die mittels zeitgemäßer Frästechnik aus einem Stück Titan hergestellt werden. Seine Midtech-Modelle SNAFU oder der „Druid integral Flipper“ werden ab 1.000 Dollar aufwärts gehandelt.
Die Geschichte des Spyderco Nirvana
Drei Monate vorher. Auf der IWA 2016 wird nicht nur bei Spyderco von einem „Super“ Messer aus der Kleinstadt Golden in Colorado getuschelt. Bilder gab es keine, Konzeptstudien sowieso nicht und erst recht keinen Prototypen. In den Messervitrinen liegen dafür viele Dutzend „Pseudotypen“, die als angebliche Prototypen die Aufmerksamkeit der Messebesucher anziehen aber alle eines gemeinsam haben: Sie sind entweder längst realisiert oder längst gestorben. Erst drei Wochen nach der IWA leakt Spyderco erste Bilder eines Nirvana Prototypen.
Der Traditionshersteller aus Golden hat in den letzten Jahren durch seine chaotische Modellpolitik viel Renommee eingebüßt. Spyderco’s Preisforderung von 719,- US-Dollar oder – nach Tageskurs umgerechnet – 651,23 Euro hat Spyderco jedoch schlagartig ins Gespräch gebracht und in der Messerwelt zu kontroversen Diskussionen geführt.
Zurück in die Gegenwart. Machen wir uns nichts vor, ohne die Preisempfehlung von über 700 Dollar hätte das Nirvana kaum große Aufregung ausgelöst. Für 400 Dollar MSRP – was zu einem Straßenpreis um 260 Dollar geführt hätte – wäre wohl eine erkleckliche Zahl von Messerfreunden auf das Angebot eingegangen. Eine zweite, vielleicht größere Gruppe, hätte dem Nirvana auch zu diesem Preis keine Aufmerksamkeit geschenkt.
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Was gibt es fürs Geld?
Technik und Material. Einen Rahmen aus einem Stück Material zu fräsen ist technisch durchaus anspruchsvoll aber keineswegs neu. Die italienische Firma LionSteel hat diese Produktionstechnik schon vor Jahren vorgestellt und auch andere Hersteller haben Messer in dieser Bauform realisiert. Spyderco hat Titan als Rahmenmaterial für das Nirvana gewählt. Die Griffoberseiten sind zudem mit aufwendiger Frästechnik optisch ansprechend gestaltet.
Den Klingenstahl CPM-S90V verwendet Spyderco seit Jahren in der Serie oder für Sondermodelle, z. B. beim Military. Wirkliche Neuerungen oder gar eine Evolution sucht man beim Spyderco Nirvana vergeblich. Der Lockarm des Nirvana muss ohne Steel-Insert auskommen, was bei Titan-Framelock Foldern heute bereits im 100 Euro Bereich Klassenstandard ist. Insbesondere vor dem Hintergrund eines Messers in Intergral-Bauweise ist der Verzicht auf ein justier- und auswechselbares Insert eine diskussionswürdige Entscheidung.
C | Cr | V | Mo |
2,30 % | 14,0 % | 9,0 % | 1,0 % |
Der Stammbaum. Manch amerikanischer Hersteller begründet den Preis für Messer im mittleren dreistelligen Dollarbereich mit deutlich gestiegenen Lohnkosten und Sozialleistungen in den Vereinigten Staaten. Dieses Argument kann Spyderco nicht ins Feld führen, denn das Messer kommt aus Taiwan. Ob es gänzlich in Taichung gefertigt wird oder ob eine taiwanische Firma nur als Mittelsmann zwischen Spyderco und einem Produzenten auf dem chinesischen Festland steht, ist derzeit nicht bekannt. Die Frästechnik gibt heute keinen Aufschluss mehr über die Herkunft, denn die Top-Produzenten in China setzen nicht erst seit gestern Maßstäbe in Sachen Bearbeitungsqualität und Fertigungspräzision.
Custom, Midtech oder Serienmesser? Spyderco versucht seinen (potenziellen) Kunden den Schritt in eine neue Preisregion mit dem Slogan „Custom like quality“ schmackhaft zu machen. Bei genauem Hinsehen sticht diese Karte nicht, denn hier wird fröhlich ein Begriff verdreht. „Customs“ im Kontext zu Messern bezeichnet in Handarbeit entstandene Einzelstücke und keine Messer aus Serienfertigung. Egal wie aufwendig diese auch sein mag.
Auch hinsichtlich der Qualität sagt der Begriff „Custom“ nichts aus, denn Material- und Fertigungsqualität können von Messermacher zu Messermacher stark variieren. Qualität, Material und Fertigungsaufwand des Nirvana platzieren es im „Midtech“ Bereich, in dem Custom Maker (mehr oder weniger) hochwertige Kleinserien anbieten.
An diesem Messer scheiden sich die Geister: Viel zu teuer oder ein Traum?
Eine kurze Antwort gibt es nicht!
Das Umfeld. Wirklich in Relation setzen kann man den Preis für ein Spyderco Nirvana erst, wenn man das Umfeld im Midtech-Bereich betrachtet. Ein XM-18 Folder von Rick Hinderer ist mit einer Preisempfehlung von 425,- US-Dollar ein gutes Drittel preisgünstiger, selbst das Umnumzaan von Chris Reeve spart gegenüber dem Nirvana gute 250,- Dollar ein.
Schauen wir nach Deutschland. Ein im „Hochlohnland“ Deutschland in Handarbeit hergestellter Folder aus der Hand eines bekannten Messermachers wie Jürgen Schanz oder Eckhardt Schmoll schlägt mit 600- 700 Euro zu Buche. Lebenslange Garantie und Schärfservice wortlos aber selbstverständlich mit eingeschlossen!
Auch wenn der Preis für das Spyderco Nirvana in den USA inzwischen auf rund 430 Dollar abgesackt ist, steht die „Wertangabe“ des Herstellers immer noch im Raum. Bei den bekannten Grossisten in Deutschland sind zur Zeit jedenfalls „Custom-Preise“ für den Ostasien Import von Spyderco zu bezahlen.
Top, hopp oder Flop?
Der Ausblick. Das Spyderco Nirvana wird ein Flop. Nur wenige Enthusiasten werden bereit sein, 500 Euro oder mehr für ein Klappmesser aus fernöstlicher Produktion auf den Ladentisch zu legen. Dazu besteht allerdings auch kein Grund! Der Preisverfall hat bereits begonnen und wird sich zukünftig noch verstärken. Auf dem Secondhand-Markt wird sich der Nirvana Preis innerhalb eines guten Jahres wohl zwischen 250 und 330 Euro einpegeln. Das dürfte dem tatsächlichen Wert des Nirvana auch gut entsprechen.
Messer in gleicher Qualität kann man von Reate und mittlerweile auch von TUYA Knife zu diesem Preis bereits als Neuware erwerben. Den Messern beider Hersteller fehlen im Vergleich zum Nirvana allerdings drei Dinge: die lasergravierte Spinne, das Loch in der Klinge und eine gute Geschichte als pfiffige Marketingidee.
Für Spyderco macht die Aktion trotzdem Sinn. Wieder wurde die rote (Preis-) Linie ein Stück nach hinten verschoben und allmählich werden sich die Kunden schon daran gewöhnen: Serienmesser heißen jetzt „Custom-like“ und steuern auf die 1.000 Dollar Marke zu.
Vielleicht ist der Name Programm: In der Vorstellungswelt des Buddhismus bezeichnet Nirwana den idealen Zustand nach dem Tod. Quo vadis Spyderco?
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Links, technische Daten und Bewertung
- Knife-Blog Thema: Taschenmesser im Review
Zero Tolerance: Messer Reviews
Knife-Blog Rubrik: Einhandmesser
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Basiswissen: Messerstahl – Das kleine Kompendium
Hightech: Moderner Messerstahl im 21. Jahrhundert - Klare Regeln: Wie Knife-Blog wertet
Daten und Ausstattung | Spyderco Nirvana |
---|---|
Messertyp | Einhandmesser mit Framelock |
Klingenlänge / Schneide | 96 mm / 94 mm |
Klingenstärke | 4 mm |
Klingenform | Drop Point mit Swedge |
Klingenstahl | CPM-S90V |
Länge offen / geschlossen | 221 mm / 124 mm |
Griffmaterial | Titan, Integralgriff |
Gewicht | 136 Gramm |