Das neue Jahr beginnt, wie das alte geendet hat: Neue Hersteller betreten die internationale Messerbühne und beleben den Markt mit Innovationen, frischen Ideen und anderen Philosophien. Mit TUYA Knife drängt eine weitere Marke aus China nach Europa und hat das Silvesterfeuerwerk als Startschuss gewählt. Die Ziele sind hochgesteckt, denn TUYA Knife möchte im hart umkämpften Marktsegment der hochwertigen Titan Framelock Folder auf Kundensuche gehen. Knife-Blog hat sich drei Taschenmesser von TUYA Knife angesehen, beleuchtet den Werdegang der Firma und widmet drei Messermodellen je eine Kurzvorstellung.
Inhalt und Übersicht
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Hersteller aus China haben in den letzten zwei, drei Jahren nicht nur den weltweiten Messermarkt auf den Kopf gestellt, sie haben auch mit einer beispiellosen Qualitätsoffensive reichlich Druck auf etablierte Produzenten ausgeübt. Den Effekt hat jeder Messerfan gespürt: Qualitäten, für die vor einigen Jahren noch 500 Dollar und mehr zu zahlen waren, bekommt man heute bereits locker für die Hälfte. Und der Prozess ist längst noch nicht abgeschlossen; alle paar Monate bemerkt man weitere Entwicklungsschritte. Vor allem die Präzision von Fräsung und Justage wird immer besser.
Die weltweit unter eigenem Namen verkaufenden Firmen aus China lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Die Großen, WE Knife, Reate und Kizer Cutlery gehören fast schon zum Establishment und sind seit Jahren auf allen Kontinenten vertreten. In der zweiten Reihe stehen unbekanntere Hersteller, kleinere Firmen und Newcomer.
Dazu gehören Real Steel, Twosun aber natürlich auch Rike, Bestech Knives, Maxace und nun auch TUYA Knife. Innerhalb beider Gruppen gibt es abgesehen von der Konkurrenz nach außen viel Zusammenarbeit, wobei die großen Hersteller eher untereinander kooperieren und die kleineren Hersteller innerhalb ihrer Gruppe zusammenarbeiten.
Das bedeutet, wenn in Europa ein neuer Messerhersteller auftaucht, muss er nicht zwangsläufig neu im Geschäft sein. Meistens waren die Firmen bereits einige Zeit als Lohnunternehmer tätig und hatten sich auf Teilbereiche der Herstellung spezialisiert. Irgendwann kommt der Punkt, ab dem die Firmen eigene Designs entwickeln und auch Verkauf und Marketing selbst übernehmen. Für einen Marktbeobachter kann es also aussehen, als betrete plötzlich ein völlig neuer Hersteller die Bühne, tatsächlich ist die Firma aber bereits seit vielen Jahren aktiv und emanzipiert sich nun durch die Produktion eigener Modelle. Bestech Knives ist ein gutes Beispiel für diesen Werdegang und auch TUYA Knife gehört zu dieser Gruppe.
TUYA Knife
TUYA Knife begann vor einigen Jahren als OEM und kämpfte gemeinsam mit vielen anderen kleinen Firmen um Aufträge für die Fertigung von Messerteilen. Ein klassischer Zulieferbetrieb also, wie es in der Automobilindustrie Tausende gibt. Die Konkurrenz solcher Firmen in China ist riesig und der Preiskampf dementsprechend mörderisch. Wer auf Dauer überleben will, muss sich früher oder später nach einen profitableren Geschäftsfeld umsehen. Der Sprung zu einem Hersteller, der von Design bis Vertrieb alle Schritte selbst vornimmt, ist ein möglicher Schritt und genau der Weg, den Bestech und auch TUYA Knife gegangen sind.
Hinter dem Firmennamen stehen zwei Brüder, die sich – in China nicht unüblich – westlich klingende Vornamen gegeben haben. (Tatsächlich entspricht die Verwandtschaftsbeziehung einem Cousin, aber Cousins der männlichen Linie bezeichnen sich oft als Brüder). Kevin hat viele Jahre Erfahrung in allen technischen Bereichen der Messerherstellung und war der Macher hinter dem OEM-Betrieb.
Um einen Vertrieb nach Europa aufzubauen fehlten ihm jedoch die Englischkenntnisse und Erfahrung mit westlichen Geschäftspartnern. An dieser Stelle kam sein Bruder Kim ins Spiel, der auf gut 15 Jahre Erfahrung im internationalen Marketing zurückblicken kann. Seit Beginn des Jahres 2019 bilden beide gemeinsam mit einer Handvoll Techniker und Designer das Rückgrat von TUYA Knife.
TUYA Knife ist in Yangjiang angesiedelt. Die bezirksfreie Stadt liegt an der chinesischen Südküste im Westen der Provinz Guangdong. Yangjiang lässt sich mit Maniago oder den Städten Solingen und Sheffield vor langer Zeit vergleichen. Fast alle Messerproduzenten, Zulieferbetriebe, Rohstoffhändler und eine Vielzahl von spezialisierten Kleinbetrieben sind auf engstem Raum versammelt. Aus Yangjiang kommen rund 60 Prozent der chinesischen Produktion von Messern und Scheren, betrachtet man nur die Exportwaren sind es sogar stattliche 80 Prozent. Die Präfektur wird deshalb auch „Hauptstadt der Scheren“ genannt. Der Name „Yangjiang“ lässt sich aus dem traditionellen Chinesisch ganz brauchbar mit „kleines Messer“ übersetzen.
Titan Framelock Folder von TUYA Knife
TUYA Knife möchte in den Markt hochwertiger Titan Framelock Folder einsteigen und hat sich auf die Fahne geschrieben, höchste technische Perfektion mit eigenen Designs zu kombinieren. Zugegeben, der Satz ist nicht neu. Auch dass die chinesische Kultur sich im Design widerspiegeln soll, ist ein Ansatz, den wir bereits von WE Knife kennen. Trotzdem darf man gespannt sein, denn wer in einer so frühen Phase Selbstbewusstsein zeigt, dürfte sich seiner Sache sicher sein…
Schon die ersten Prototypen zeigen das Potenzial der chinesischen Firma bei Materialbearbeitung und Qualität.
Bereits im letzten Quartal 2018 hat TUYA Knife ein kleines Sortiment von Prototypen in Europa vorgestellt. Fachhändler und Messerprofis wurden um Begutachtung gebeten, um Schwachstellen zu erkennen, das Design zu optimieren und gleichzeitig wollte man die Vorlieben der europäischen Kundschaft erforschen. Zeitgleich wurden kleine Auflagen einiger Modelle in den USA über Online-Händler angeboten. Den Verkaufsstart in Deutschland bereitet Generalimporteur Sascha Stoelp von „WritingTurningFlipping“ gerade vor.
Los geht’s – kommen wir endlich zu den Messern. Drei Titan Framelock Folder liegen auf dem Tisch, zwei mit S35VN Klinge, einer mit M390 Stahl. Bemerkenswert: Auf Nachfrage lässt mich die Firma einen Blick auf die Einkaufsbelege für ihre Stähle werfen. Das bedeutet zwar noch nicht, dass der dort erwähnte Stahl tatsächlich in diesem Messer verbaut ist, aber die Bereitschaft zur Transparenz ist auf jeden Fall ein positives Signal.
TUYA Knife 1 (ODM)
Auf der Timeline offenbar der älteste Entwurf aller drei Messer. Das Logo von Tuya Knife befindet sich noch in einem Entwurfsstadium und auch die anderen Lasergravuren sind ungewöhnlich. Die Modellbezeichnung „ODM“ klingt etwas technisch, dafür ist die Internetadresse „tuyaknife.com“ eingelasert. Ein Klick führt zurzeit allerdings nur auf eine Baustelle, hinter deren Startseite noch keine Informationen zu finden sind. Blankes Erstaunen an anderer Stelle. In Schriftgröße eines Medikamentenbeipackzettels sind Seriennummer und Auflage eingelasert (143/250).
Modell eins ist also ein Frühwerk. Möglicherweise dazu bestimmt, durch Verkauf von Kleinserien in den USA die benötigten Devisen für den Start der Serienproduktion zu erwerben. Die Umrisse des Messers kommen mir bekannt vor und ich meine Ähnlichkeiten zu Entwürfen von Sal Glesser aus den frühen 1980er Jahren zu sehen. Das Design wirkt etwas antiquiert – nein, das ist ein hässliches Wort. „Retro“ trifft es eher, denn von der technischen Seite gesehen ist das „ODM“ voll auf der Höhe.
Zwei Griffschalen aus 4 Millimeter starken Titan, dezent goldfarben anodisiert und umlaufend sanft gerundet sowie ein Backspacer aus dem gleichen Material bilden einen äußerst soliden Rahmen. Auf jeder Seite prangt ein großes Inlay aus Carbon, in dessen Oberfläche tiefe Längsrillen gefräst sind. Die Kombination aus der Carbon Struktur und den Rillen ist nicht nur optisch reizvoll, sie verleiht dem Griff auch eine überdurchschnittliche Rutschfestigkeit.
Bei den Carbon Schalen handelt es sich tatsächlich im Inlays, sie sind in die Titan Griffschalen gut einen Millimeter tief eingelassen. Erinnert an das Akribis von Spartan Blades, wobei Modell 1 eine Besonderheit zeigt: der Lockarm läuft frei unter der Carbon Schale, ohne dass beim geöffneten Messer ein Spalt entsteht, in den sich Staub oder Fremdkörper setzen könnten. Ein bekanntes Manko dieser Bauform aber beim Modell 1 hat offenbar jemand sehr intensive Detailarbeit geleistet und das Problem elegant gelöst.
Der Klingengang ist ein Traum und gehört in die Framelock Flipper Topklasse! Die 85 Millimeter lange Klinge aus M390 läuft in Kugellagern, steht perfekt mittig und lässt sich spielerisch flippen. Wahlweise auch mit dem Daumen wie ein Frontflipper. Das Lock steht bei rund 50 Prozent, verriegelt sicher und ist leicht entriegelbar. Ein Stahleinsatz stellt die Verbindung zwischen Lockbar und Klinge her; ein Überdehnschutz verhindert, dass die Lockbar beim Entriegeln die Carbon Schale nicht beschädigt wird. Handlage und Handling sind ausgezeichnet.
Mit der Klingenbohrung im „Byrd“ Style kann ich mich nicht recht anfreunden. Zum Öffnen taugt sie jedenfalls nicht. Als optisches Highlight vermutlich auch nicht. Besser gefallen mir Backspacer und Clip. Beide sind dunkelblau anodisiert, stabil und gut ins Gesamtkonzept integriert.
Das TUYA Knife „ODM“ ist ein richtiger „Worker“. Das solide Arbeitsmesser hat seine Stärken bei Funktionalität, Material, Frästechnik und dem soliden Aufbau. Die Justage ist perfekt und die M390 Klinge dürfte im Alltag nicht kleinzukriegen sein. Am Retrolook des Messers dürften sich erfahrungsgemäß die Geister scheiden…
TUYA Knife 2 (Modell 1704)
ist das genaue Gegenteil von Nummer eins. Schlank, filigran und beinahe ein wenig verspielt. Die S35VN Klinge besitzt im hinteren Teil einen deutlichen Recurve, vorne verläuft sie leicht bogenförmig bis zur Spitze. Der Übergang zwischen dem vorderen und hinteren Abschnitt ist ein Albtraum für den Schleifer. Facetten und Recurve sind so symmetrisch und gleichmäßig, dass ich mich frage, ob das Handarbeit oder irgendein Computer-Hexenwerk ist. Eine Lupe muss her.
Der Übergang zwischen beiden Klingenabschnitten passt auf einer Seite absolut perfekt, auf der anderen Seite ein Versatz um ein paar Zehntel. Damit ist der Computer raus aber der Schliff ist so winkelstabil, gleichmäßig und seitensymmetrisch, dass sich Tuya Knife Modell T1704 nahtlos in die Messeroberklasse einreiht.
Rundum Titan, Clip und Spacer im gleichen Blauton wie die Griffschalen ohne die kleinste Farbabweichung. Die Evolution zum Modell 1 ist deutlich erkennbar. Das neue Logo von Tuya Knife – ein Dreieck mit verschränkten Seiten – ist auf die linke Klingenseite gelasert. Rechts an der Klingenwurzel findet sich die Stahlbezeichnung (S35VN), Hersteller und Modellnummer zieren die Klinge. Die Qualität der Laserung ist ebenfalls besser, knackscharf und tiefschwarz.
Die Griffschalen sind umlaufend stark abgerundet und leicht gewölbt. Obwohl der Griff nur maximal 20 mm hoch ist, liegt das Messer erstaunlich gut in der Hand.
Die Kontur des Griffs an der Unterseite passt gut, die Neigung zum Verdrehen in der Hand ist geringer als vermutet.
Die Achsschraube lässt sich bei diesem Tuya Knife ohne Spezialschlüssel per Inbus lösen. Justage und Klingengang stehen Modell 1 in nichts nach. Flippen lässt sich die 95 Millimeter lange Klinge mit einem leichten Druck der Fingerkuppe auf den Kicker.
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Daumenflippen funktioniert auch bei diesem Modell. Da kommt sofort Spielfreude auf. Die Klinge läuft butterweich und klappt nach dem Entriegeln nahezu von selbst ein. Das TUYA Knife T1704 ist bereits in jeder Hinsicht ausgereift und muss sich in keinem Punkt hinter Produkten der etablierten Hersteller verstecken. Obwohl Messer mit langer, schlanker Bauform nicht unbedingt zu meinen Favoriten zählen stelle ich schon nach kurzer Zeit überrascht fest, dass sich das blaue TUYA Knife ständig in meine Hostentasche mogelt.
TUYA Knife 3 (Modell 1703)
Das dritte Modell von TUYA Knife ist optisch das Unspektakulärste. Betrachtet man alle drei Messer einige Sekunden, ist das dritte Modell das Messer, dessen Erscheinung sich am Wenigsten in Gedächtnis brennt. Ein Nachteil ergibt sich darauf nicht unbedingt, denn an der Optik von Modell T1703 gibt es nichts auszusetzen. Ein typischer Titan Framelock Flipper mit fast klassischen Linien. An der Drop Point Klinge aus S35VN fällt der zur Spitze gerade abfallende Klingenrücken ohne Swedge auf.
Wieder sind Backspacer und Clip in einem unaufdringlichen Stahlblau anodisiert wohingegen die Titan Griffschalen einen Bronzeton besitzen. Die Zutaten sind wie gehabt: Kugellager, Stahleinsatz, Überdehnschutz und auch die Flippereigenschaften entsprechen den guten Werten der beiden Vorgänger. Wieder lässt sich an der Verarbeitungsqualität und Justage nicht der kleinste Mangel entdecken. Das Lock steht etwa bei einem Drittel, die Klinge läuft frei und ungehemmt.
Ein Detail ist ungewöhnlich: ein kleines Stück hinter dem Kicker (bei geschlossenem Messer) ist eine rund ein Zentimeter lange Phase in die Innenseiten beider Griffschalen gefräst. Die Bedeutung kann ich nicht klären. Praktischer Nutzen ergibt sich ebenso wenig wie ein optischer Akzent. Die zusätzliche Fase ist sauber gefräst, sollte es sich um den Ansatzpunkt einer Werkzeughalterung handeln? Macht auch nicht wirklich Sinn. Ich gebe auf.
Bei genauem Hinsehen offenbar die Schneide einen Mini-Recurve, der sich über die hintere Hälfte der Schneide erstreckt aber kaum einen Millimeter tief ist. Normalerweise würde ich an Murks am Bandschleifer denken, aber der Anschliff ist so sauber und präzise, dass ich einen Fehler ausschließen möchte. Bleibt also nur die Interpretation, dass durch den leichten Bogen nur ein kürzerer Abschnitt der Klinge am Schnittgut anliegt und so die Schnittleistung erhöht werden soll. Alle Recurve-Gegner dürfen entspannen, der Minibogen wird beim Nachschärfen keine Probleme bereiten.
TUYA Knife Prototypen – Fazit
Drei völlig unterschiedliche Ansätze eines neuen Anbieters sich dem Thema Titan Framelock Flipper zu nähern. Schlecht ist keines der Messer und alle drei werden unterschiedliche Käufergruppen ansprechen. Die gleichmäßig sehr hohe Qualität bei Verarbeitung und Justage vereint die unterschiedlichen Konzepte.
Jedes der drei Messer hat mich eine Weile im Alltag begleitet und musste die EDC-typischen Schneidarbeiten über sich ergehen lassen. Den kurzen Praxistest haben alle drei Tuya Messer gemeistert, ohne dass sich Schwächen oder Mängel gezeigt haben. Keine Micro-Ausbrüche an der Schneide, kein Verrunden der Klingenspitzen, die Stähle scheinen korrekt gehärtet zu sein.
„Noch ein neuer Anbieter aus China im Markt“, wird der eine oder andere Leser nun stöhnen, „es gibt doch nun wirklich schon genug Auswahl“. Stimmt! Aus der Sicht des Kunden kann das Angebot natürlich nicht groß genug sein, denn mehr Konkurrenz führt automatisch zu günstigeren Preisen. Außerdem müssen die Anbieter viel Augenmerk auf Kundendienst und Service richten, um nicht hinter den Mitbewerbern abzufallen oder sich – im besten Fall – einen Vorsprung zu verschaffen. Profiteure werden auf jeden Fall die Messerfans sein.
Die Preisgestaltung ist nicht übermäßig aggressiv, wird aber trotzdem für zusätzlichen Druck im Markt sorgen. Die Preise für Messer von TUYA Knife werden im Online-Fachhandel modellabhängig irgendwo um 200 Euro liegen, wobei Preisvorteile beim Eigenimport aus den USA nicht zu erwarten sind.
Wenn TUYA Knife die Qualität auf dem Niveau der drei Messer halten kann, dürfte ihnen der Sprung in die westlichen Märkte problemlos gelingen.
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Links
- Bezugsquelle : WritingTurningFlipping
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