Der Begriff „Fake News“ hat es dank Donald Trump in den letzten Jahren zu zweifelhafter Popularität gebracht, doch heute geht es um gefälschte Messerstähle statt um Nachrichten. Bei vielen Messern aus chinesischer Produktion sollen die Angaben zum Klingenstahl nicht mit der tatsächlich verarbeiteten Stahlsorte übereinstimmen. Anders gesagt lautet der Vorwurf: Chinesische Hersteller werben mit Premiumstählen, verbauen aber Klingen minderer Qualität. Brisantes Thema! Knife-Blog ist dem Thema „gefälschte Messerstähle“ auf den Grund gegangen…
Inhalt und Übersicht
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Die Materie ist komplex. Weltweit agierende Großkonzerne bieten Stähle in Dutzenden von Ländern an. Messerhersteller bilden Einkaufsgemeinschaften, handeln untereinander, tauschen Rohmaterialien oder produzieren Klingen als Lohnunternehmer. Die Kernfragen lauten, „Wer kauft wo?“ und „Wer arbeitet mit wem zusammen?“ Kurze Antworten gibt es nicht und schon die erste Recherche führt in einen Dschungel von internationalen Handelsbeziehungen, hilfreichen Konzerntöchtern, Zöllen, Embargos, geheimnisvollen Zahlungswegen und ausländischen Dollarkonten.
Der Vorwurf wiegt schwer und lautet: Chinesische Hersteller verwenden billigen Stahl aus einheimischer Produktion für ihre Klingen und werten ihn per Lasergravur zum teuren Premiumstahl auf. Brandaktuell ist der Vorwurf nicht und es gibt auch keinen konkreten Vorfall. Bereits auf der IWA Outdoor Classics 2016 vertraten einige US-Hersteller diese Auffassung lautstark.
Ein Interview zu diesem Thema vor laufender Kamera wollte allerdings niemand geben und Informationen, die „Off-the-Record“, also hinter vorgehaltener Hand gegeben werden, sind nicht zitierfähig. Seitdem sind die Gerüchte um gefälschte Klingenstähle nie völlig verstummt und in Zeitabständen wird das Thema von wechselnden Akteuren wieder in die Öffentlichkeit gebracht.
Dass es Hersteller gibt, die Klingen aus Billigstählen mit falschen Stahlbezeichnungen aufwerten und die Messer anschließend in Auktionen oder bei asiatischen Onlinehändlern anbieten, ist natürlich kein Geheimnis. Die Frage ist nicht, ob irgendwo ein mogelnder Krauter auf Schnäppchenjäger zielt, sondern ob sich namhafte Messerhersteller in China einen Wettbewerbsvorteil durch gefälschte Messerstähle erschleichen, indem sie preisgünstige Stähle aus Inlandsproduktion zu pulvermetallurgischen Hightech-Stählen umdeklarieren.
Stahlhandel mit China – Hintergründe
Zwischen der EU, den USA und China sind Stahl und Stahlprodukte schon seit Langem mit Einfuhrzöllen belegt. Ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit geriet diese Tatsache erst Anfang 2018, als Präsident Trump kurz nach Jahresbeginn drastische Erhöhungen des Zolltarifs bei Einfuhren für Stahl in die USA verkündete. Er argumentierte, dass US-Firmen auf dem Weltmarkt benachteiligt seien, da andere Länder höhere Einfuhrzölle auf Stahl besäßen als die USA. Tatsächlich betrugen die Zölle damals 9,92 Prozent des FOB-Wertes beim Import nach China, 5,16 Prozent des FOB-Wertes beim Import in die EU und 3,48 Prozent des FOB-Wertes in die USA (FOB = „free on board“, Warenwert ohne Kosten für Transport, Logistik, Versicherung etc.).
Seitdem haben sich die Werte deutlich verschoben. Gegenseitige Strafzölle haben Stahlimporte deutlich verteuert. Heute liegt der Zoll bei Einfuhren nach China aus der EU etwa bei rund 13 Prozent des FOB-Wertes und bei Einfuhren in die USA bei rund 29 Prozent des FOB-Wertes.
Zwischen Fakten und Verschwörungstheorien
Zwei Hauptargumente, warum die vielen Messer mit S35VN oder M390 Klingen aus China gefälscht sein könnten, zielen auf Verfügbarkeit und Bezahlung des Rohmaterials. Dabei wird je nach Quelle entweder behauptet, US-amerikanische Hersteller würden keinen Stahl nach China liefern oder man erweckt den Eindruck, die Chinesen hätten nicht ausreichend Devisen (US-Dollar), um den Stahl im Ausland einzukaufen.
Natürlich verkaufen die US-Produzenten ihren Stahl an jedermann, sofern das Empfängerland nicht auf der Embargoliste der US-Regierung steht. Der Export von Stahl nach China unterliegt keinen Einschränkungen. Dass weltweit agierende Konkurrenten wie Crucible Steel oder Carpenter aus patriotischen Gründen keinen Stahl nach China liefern, ist realitätsfern und dürfte eher das Wunschdenken mancher Amerikaner abbilden. Tatsächlich stehen beide Firmen zusätzlich in Konkurrenz zu Anbietern aus Europa und Asien und kämpfen unter anderem mit Hitachi, Böhler- oder Buderus auf der ganzen Welt um den gleichen Kundenkreis. Die Behauptung von Liefersperren ist nachweislich falsch.
Hinsichtlich der Devisen gibt es für chinesische Firmen tatsächlich manchmal Schwierigkeiten. Für Privatpersonen und kleine Firmen ist in China schwierig bis unmöglich, Dollarkonten zu führen und/oder Überweisungen in Dollar aus dem Ausland zu empfangen. Unversehens können sich Dollarüberweisungen in Luft auflösen, sprich: im Staatssäckel oder bei einem Parteifunktionär landen. Deshalb unterhalten viele chinesische Firmen, zum Teil über Konzerntöchter, Konten bei Auslandsbanken und lagern ihre Umsatzerlöse aus dem Amerika- und Europageschäft dort. So können Zahlungen per Überweisung oder Kreditkarte geleistet werden und man dirigiert sein Guthaben lässig über das Tor-Netzwerk oder per verschlüsselter Smartphone App.
Geschäftsabwicklungen in Dollar oder Euro sind für chinesische Firmen nicht grundsätzlich unmöglich, sondern nur mit Hürden belastet, die es im Westen nicht gibt. Auch das Argument der fehlenden Devisen oder Zahlungswege stellt sich schnell als nicht stichhaltig heraus.
Geradezu haarsträubend ist die These, den gefälschten Messerstahl würde man an der gelaserten Bezeichnung erkennen, da bei chinesischen Messern statt „CPM-S35VN“ oft nur „S35VN“ angegeben wird. Zweimal protestiert der gesunde Menschenverstand: Warum sollte ein skrupelloser Fälscher vor drei weiteren Buchstaben zurückschrecken und nach dieser Regel wären auch die Stähle vieler US-Hersteller gefälscht (u. a. Spartan Blades).
Wo kommt der Stahl her?
Teilweise liefern die großen Hersteller direkt nach China, teilweise betreiben sie eigene Niederlassungen in Hongkong oder Shanghai und teilweise läuft der Vertrieb über Zwischenhändler in den USA, Italien, Thailand und anderen Ländern. Eine bekannte Adresse ist Niagara Specialty Metals aus Akron, NY (↑). In einer eigenen Sektion werden gezielt Messerstähle angeboten und das Portfolio umfasst neben den Klassikern O-1 und 440C auch viele aktuelle PM-Stähle von Crucible Steel von S35VN bis zum raren CPM-4V.
Böhler unterhält mit seiner Konzerntochter „Böhler Special Steels (Shanghai)“ eine eigene Niederlassung in China und verkauft direkt vor Ort (↑). Diese Kundenähe mag erklären, warum in den vergangenen Monaten gerade der relativ teure Messerstahl M390 Microclean bei mehreren chinesischen Messerproduzenten zum Einsatz kam. M390 gehört aktuell zu den besten Klingenstählen und nicht wenige Messerfans schätzen ihn höher als den populären CPM-S35VN. Aufgrund der speziellen Karbidstruktur lässt sich M390 auf giftige Schärfe bringen und besitzt trotzdem eine bessere Schnitthaltigkeit als S35VN.
Allerdings ist der Preis für M390 in den letzten Monaten stark gestiegen, da nach einem Brand die aktuellen Produktionskapazitäten die Nachfrage nicht decken können. Als Ersatz sind bei mehreren Messerherstellern vor allem CPM-20CV und CPM-4V in der engeren Auswahl aber für auch kleinere Hersteller könnte der Engpass eine Chance bedeuten. Die deutsche Firma Buderus Edelstahl hat mit Nitro-B einen sehr hochwertigen Messerstahl im Angebot und verkauft direkt nach China. Auch Damaststähle kaufen chinesische Hersteller gerne in Deutschland; beim Damast-Spezialisten Markus Balbach hat das Asiengeschäft in den letzten Jahren einen starken Aufschwung erfahren.
Spätestens das Wort Damast führt zu einem vertieften Blick auf die Preise, die ein Messerproduzent für hochwertige Stähle zu zahlen hat. Ein gängiges Argument ist, dass die Preisgestaltung chinesischer Hersteller für ihre Messer überhaupt keinen Spielraum für den Einsatz pulvermetallurgischer Stähle lässt und die Angabe der Stahlsorte daher gefälscht sein müsse. Das führt zur Frage: „Was kostet Messerstahl auf dem Weltmarkt?“
Messerstahl – Konfektion und Kosten
Grundsätzlich kann man sagen, dass pulvermetallurgische Messerstähle zu den teuersten nicht handwerklich hergestellten Spezialstählen gehören, deren Preis nur von Stählen für militärische Güter oder zur Verwendung in Nuklearanlagen übertroffen werden.
Die Stahlsorten werden üblicherweise als Bleche („Sheets“) geliefert. Die Standardmenge – und damit die Mindestabnahme – beträgt zumeist 2.500 lbs also rund 1.132 kg.
Das Kürzel „lb“ kommt vom lateinischen „Libra“ (Waage) und steht für ein Pfund nach dem angloamerikanischen Maßsystem, umgerechnet etwa 0,453 kg.
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Am Beispiel von CPM-S35VN besteht eine Charge von 2.500 lbs aus 70 Blechen von etwa 3.7 mm Stärke. Die Bleche messen 24 x 36 Zoll, wobei die Abmessungen nicht ganz exakt eingehalten werden. Ein solches Paket von 70 Blechen kann man im Dezember 2018 für 635,- US-Dollar pro Blech kaufen. Aus einer solchen Charge lassen sich je nach Länge, Höhe und Form der Klinge sowie je nach Grad der Schnittoptimierung zwischen 12.000 und 15.000 Klingenrohlinge fertigen. Bei einem Mittelwert von 13.500 Rohlingen würden die Materialkosten (FOB) pro Klinge also nur etwa 3,30 Dollar betragen. Unberücksichtigt ist bei der Berechnung, dass ein Teil der Materialkosten durch die Zweitverwertung von Reststücken und den Verkauf des Stahlschrotts kompensiert werden kann.
Ein typisches Angebot aus dem internationalen Stahlhandel
Bei Verwendung von M390 läge der Preis für einen Rohling etwa bei 5,60 Dollar, bei CPM-20CV etwa bei 3,75 Dollar. Dieser Wareneinsatz für eine Klinge erscheint erstaunlich niedrig und tatsächlich ist der zentrale Bestandteil eines Messers nicht so entscheidend für den Endpreis, wie zum Beispiel die Kosten für Vertrieb oder Marketing.
Die Kalkulation zeigt, dass das verwendete Klingenmaterial nicht der entscheidende Kostenfaktor für den Endpreis eines Messers ist. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass Betrügereien diesem Bereich zumindest bei Verkaufspreisen oberhalb von 100 Dollar nicht sehr lukrativ sind.
Gefälschte Messerstähle – Wäre Betrug möglich?
Selbstverständlich. Eine falsche Stahlsorte auf die Klinge lasern ist keine Kunst. Die Frage wäre allerdings, wie lange man damit durchkommt. Mir sind aus den vergangenen 18 Monaten vier Überprüfungen bekannt, bei denen Klingen chinesischer Messer metallurgischen Analysen unterzogen wurden. Um es vorweg zu nehmen: Alle vier Messer haben die Prüfung bestanden und die angegebenen Stahlsorten wurden im Labor bestätigt. Die Messer von WE Knife (2x), Maxace und Bestech Knives wurden in deutschen oder schweizerischen Prüfinstituten untersucht.
Der Grund, warum die Ergebnisse der Prüfungen nicht öffentlich gemacht wurden, ist ebenso einleuchtend wie selbsterklärend: Sie wurden von konkurrierenden Händlern bzw. Herstellern in Auftrag gegeben. Die Motivlage zur Überprüfung war natürlich, eine Fälschung nachzuweisen und nicht die Qualität der Konkurrenz öffentlich zu bestätigen. Deshalb darf ich die mir vorliegenden Prüfurkunden weder veröffentlichen noch die Auftraggeber nennen. Wäre das Ergebnis negativ ausgefallen, also eine falsche Stahlangabe entlarvt worden, wären die Prüfberichte fraglos den Medien zur Auswertung überlassen worden.
Die Folge einer nachgewiesenen Fälschung käme für das betroffene Unternehmen einem Tsunami gleich. Tausende von wütenden Kunden würden die Messer an ihre Händler zurückgeben, manche würden vielleicht sogar Strafanzeigen stellen oder Zivilklagen anstrengen. Die Händler würden alle Produkte des betroffenen Herstellers aus dem Programm nehmen und Knife-Blog würde in einem ausführlichen Artikel die Schandtat öffentlich machen.
Selbst wer sich über Jahre nicht erwischen lässt, könnte mit dem Verkauf gefälschter Messerstähle kaum ein Vermögen erwirtschaften.
Kurz und gut: Wer sich bei einer solchen Mogelei in der Messerszene erwischen lässt, dem geht es nicht besser als einem Falschspieler im Wilden Westen. Verbal geteert und gefedert wäre das Europa-Geschäft des betroffenen Unternehmens auf Jahre hinaus ruiniert und der Firmenname würde zu einem Synonym für Betrug mutieren. Wer nur ein einziges Mal mit einer gefälschten Klinge auffällt, hätte es bei den Messerfans hinter sich und könnte sich fortan weder auf einer Messe noch in den sozialen Medien blicken lassen.
Wo kommen die Gerüchte um gefälschte Messerstähle also her? Präzise zurückverfolgen lassen sich Gerüchte erfahrungsgemäß nie, aber der Ursprung dürfte dort zu suchen sein, wo wirtschaftliche Interessen walten. Nicht wenige US-amerikanische Hersteller verzeichnen Umsatzrückgänge und oder können ihre bisherigen Marktpreise nicht mehr durchsetzen. Hinweise auf höhere Qualität oder besseres Design helfen nicht mehr, da führende Hersteller aus China die Lücken längst geschlossen haben. Manch einem gehen deshalb offenbar die Nerven durch. Anstatt den Weckruf der Konkurrenz anzunehmen, versucht man die eigenen Produkte patriotisch aufwerten und parallel Zweifel zu säen und die Konkurrenz unter Generalverdacht zu stellen.
Nach meinen bisherigen Erfahrungen kann man sich bei Messern namhafter Hersteller aus China hinsichtlich der Spezifikationen sicher sein. Gefälschte Messerstähle wurden noch nie festgestellt. Bei WE Knife, Kizer Cutlery, Reate, Bestech Knives, Steelcraft, Civivi, Tangram, Maxace und Tuya Knives kann man sicher sein, dass die angegeben Stahlsorte auch verbaut wurde. Das ist eine Momentaufnahme und sollte sich daran jemals etwas ändern, wird es hier zu lesen sein!
Bei mehr oder weniger anonymen Angeboten und Nonames kann es anders aussehen! Ausdrücklich ausgenommen vom gewährten Vertrauen sind Angebote bei Auktionshäusern oder Internetversendern von Alibaba bis Amazon, denn dort fehlen oft die notwendige Sachkenntnis und Sorgfalt, die im Fachhandel selbstverständlich sind.
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Links
- Knife-Blog Thema: Messerstahl
- Stahlvertrieb weltweit: Niagara Specialty Metals
- Böhler Shanghai: Böhler Shanghai
- Im Aufwind: Crucible CPM-20CV
- Made in Germany: Damaststahl von Markus Balbach