Hawkbill Klinge - Vorteile, Nachteile, Einsatzmöglichkeiten

Die Hawkbill Klinge – Vorteile, Nachteile und Einsatzmöglichkeiten

Die Hawkbill Klinge besitzt eine konkav gebogene Schneide und wird durch diese Eigenschaft zu einem Exoten unter den Klingenformen bei Taschenmessern. Tatsächlich führte die Hawkbill Klinge jahrzehntelang ein Schattendasein, doch in den letzten Jahren erscheinen mehr und mehr Taschenmesser mit Hawkbill Klinge. Alles über Vor- und Nachteile, Stärken, Schwächen und Einsatzmöglichkeiten der Hawkbill Klinge erklärt Knife-Blog am Beispiel des Taschenmessers „Journeyman“ der kleinen US-Schmiede Something Obscene Company.

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Die Firma und den Macher hinter dem ungewöhnlichen Firmennamen hat Knife-Blog schon ausführlich im Review zum J-Cape Flipper vorgestellt. Felix Landon Archibeque heißt der Messermacher, der seine „irgendwie obszöne“ Firma als Familienbetrieb zusammen mit seiner Frau Chelsea im US-Bundesstaat Oklahoma betreibt. Messer der „Something Obscene Company“ oder kurz „SOC“ haben überwiegend einen taktisch-militärischen Touch, ohne dabei „tacticool“ zu sein oder gar Einsatzmesser kopieren zu wollen. Auch das Modell Journeyman bestätigt – trotz seiner Hawkbill Klinge – diese Regel.

Felix Landon Archibeque hat sich bereits mehrfach an Klingenformen für seine EDC gewagt, die man bei Messern für den Alltagsgebrauch nicht unbedingt erwarten würde. Sein Taschenmesser „Nemley Cleaver“ besitzt eine Klinge, die scheinbar eher zu einem japanischen Hackmesser für die Küche als zu einem alltagstauglichen EDC passt.

Jede Klingenform besitzt für bestimmte Aufgaben mehr oder weniger ausgeprägte Stärken und Schwächen auf. Kein Wunder, dass die Klingenformen mit den geringsten Einschränkungen – also Standard und Drop Point – bei Taschenmessern und Fixed Blades sehr viel häufiger verwendet werden als die Klingenformen Kris, Needle Point oder die Hawkbill Klinge.

Die Hawkbill Klinge

Neben dem Alleskönner Drop Point Klinge gibt es zahlreiche Spezialisten. Ungewöhnliche Klingenformen haben ihre Herkunft zumeist bei einer Berufsgruppe, die Messer mit einer ganz besonderen Klingenform für fest umrissene Aufgaben benötigt. Seeleute, Bauern und Krieger gehören dazu. Ungewöhnliche Mischung!

Hawkbill und Sheepsfoot Klinge gehören zu den Spezialisten, ebenso das malaiische Kris, wenn auch bei Letzterem weniger eine Berufsgruppe als vielmehr die Optimierung einer Stichwaffe zur Gestaltung der Klinge geführt hat. Wie alle anderen Klingenformen lässt sich auch die Hawkbill Klinge weder bei den Proportionen noch bei Größe oder Radien klar definieren. Es handelt sich um eine Grundform, die stets variiert wird.

Hawkbill Klinge am SOC Journeyman

Größte Gemeinsamkeit und eindeutiges Erkennungsmerkmal aller Hawkbill Klingen ist die nach innen (konkav) gewölbte Schneide. Das ist praktisch die Umkehr zu „normalen“ Messerklingen, deren Schneiden entweder gerade verlaufen oder einen konvexen Bogen im vorderen Klingendrittel besitzen. Bei solchen Messern befindet sich die Klingenspitze oberhalb der Schneide oder zumindest auf gleicher Höhe, bei der Hawkbill Klinge liegt die Klingenspitze deutlich tiefer als die Schneide.

Eine alte und heute kaum noch gebräuchliche Bezeichnung für die Hawkbill Klinge lautet Falkenschnabelklinge. Längst hat der Anglizismus das deutsche Wort aus der Umgangssprache verdrängt, obwohl ausnahmsweise der deutsche Terminus die Form der Klinge treffender charakterisiert als der englische Begriff.

Die Form der gebogenen Klinge ähnelt stark dem Schnabel eines Raubvogels. Die Klingenspitze tritt bei einer Hawkbill Klinge deutlich prominenter in Erscheinung als bei Messern mit einer Standardklinge. In der englischsprachigen Messerliteratur wird als Vorteil einer Hawkbill Klinge häufig erwähnt, dass die Klingenspitze noch nutzbar ist, wenn die Schneide stumpf ist. Die Argumentation ist wenig überzeugend, denn ein Messer mit verschlissener Schneide besitzt im Normalfall eine ebenso verschlissene Klingenspitze. Die Vorteile der Hawkbill Klinge müssen also in einem anderen Bereich liegen und offensichtlicher sein.

Bei vielen Schneidearbeiten führt man mit einem Messer Säge- oder Druckschnitte aus. Bei Ersterem bewegt man die Klinge im Schnittgut vor und zurück, bei Letzterem drückt man die Schneide ins Schnittgut. Für beide Techniken ist die Hawkbill Klinge nur begrenzt geeignet, vor allem, wenn das Schnittgut auf einer ebenen Fläche liegt.

Die große Stärke der Hawkbill Klinge sind Zugschnitte, bei denen die Schneide durch das Schnittgut gezogen wird. Dabei zieht sich die Schneide durch ihre Krümmung allein durch die Zugbewegung wie von selbst ins Schnittgut. Dieser Effekt tritt am deutlichsten bei weichen Materialien wie Seilen, Gurten oder Netzen, aber auch bei Pflanzenstängeln und jeder Art von Bekleidung auf.

Messer mit Hawkbill Klinge zur Selbstverteidigung?

Bei einem Zugschnitt wird der hintere Abschnitt der Klinge am Schnittgut angelegt und das Messer zum eigenen Körper gezogen. Die gebogene Schneide einer Hawkbill Klinge zieht sich bei dieser Bewegung automatisch ins Schnittgut, ohne dass man Druck auf die Schneide ausüben muss. Diese Eigenschaft ist sehr effektiv beim Kappen von Seilen, Fischernetzen oder beim Ernten, wenn man in schneller Folge Pflanzenstängel durchtrennt. Bei diesen Tätigkeiten wird die benötigte Kraft durch die Klingengeometrie reduziert.

Messer Highlights IWA 2019 - DEfcon Tactical

Doch es gibt einen weiteren Einsatzbereich für die Hawkbill Klinge. Messer, die zur Selbstverteidigung dienen. Das Karambit ist der einzige Messertyp, der grundsätzlich mit einer Hawkbill Klinge ausgestattet ist.

Karambit kommen außer bei Krav Maga auch bei verschiedenen asiatischen Kampfsportkünsten zum Einsatz.

Der entscheidende Unterschied zwischen einem Karambit und dem Journeyman von SOC ist das Fehlen des Fingerrings am Griffende. Die schnellen Rotationen des Messers um einen Finger sind daher nicht möglich. Ungeeignet zur Selbstverteidigung ist es dennoch nicht. Vor allem die US-Firma Spyderco hat seit Anfang der 1990er-Jahre zahlreiche Messermodelle mit Hawkbill Klinge auf den Markt gebracht.

In einem alten Spyderco Katalog berichtet Spyderco anlässlich der Vorstellung des Civilian (C12) über die Entstehung ihres ersten Messers mit Hawkbill Klinge.

In den 1990er-Jahren wurde Spyderco von einer spezialisierten Abteilung der US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden angesprochen, um ein Messer für ihre Undercover-Agenten herzustellen. Diese LEOs („Law Enforcement Officers“, Polizisten) in Zivil befanden sich in Situationen, in denen sie oft keine Schusswaffe tragen konnten, das Tragen eines Messers jedoch kein Problem darstellte. Die meisten hatten keine formelle Ausbildung in Selbstverteidigungstaktiken oder MBC („Martial Blade Concepts“, Selbstverteidigung mit Messern), aber als letztes Mittel konnten sie eine Klinge verwenden, um sich vor einer lebensbedrohlichen Situation zu schützen oder zu befreien.

Text: Spyderco, frei übersetzt aus dem Englischen

Fast alle Spyderco Messer mit Hawkbill Klinge besaßen Schneiden mit Wellenschliff. Als Spyder-Edge wurde die charakteristische Zahnung des Wellenschliffs weltbekannt, den die Firma aus Colorado selbst entwickelt hatte. Der Wellenschliff ist besonders geeignet, weiche Materialien zu durchtrennen und erhöht das Potenzial einer Hawkbill Klinge nochmals deutlich.

Obwohl die Effektivität der Hawkbill Klingen mit Spyder-Edge unbestritten war, blieb die Käuferschicht stets überschaubar. Vor allem in Europa waren Taschenmesser mit Wellenschliffklingen nur schwer verkäuflich.

Was ist ein taktisches Messer?

Nach dem ausführlichen Blick auf die Fähigkeiten und Einsatzmöglichkeiten einer Hawkbill Klinge wird es Zeit, die Aufmerksamkeit dem Taschenmesser Journeyman zuzuwenden. Wie alle Messer der Something Obscene Company besitzt auch das Journeyman jenen charakteristischen Touch, den man landläufig gleichermaßen treffend wie irreführend als „tactical“ oder eingedeutscht als „taktisch“ bezeichnet.

Tatsächlich lässt der Begriff „tactical“ aus der amerikanischen Umgangssprache nur schwer mit einem Wort ins Deutsche übersetzen. Die nahe liegende Übersetzung mit „taktisch“ klingt instinktiv passend, entstellt jedoch völlig den Sinn. Eine sinnvolle Interpretation des Begriffs „tactical“ ergibt sich durch Übersetzung der Definition im Lexikon der US-Streitkräfte:

"Taktische Waffen oder Kräfte sind solche, die ein Militärangehöriger in einer Schlacht einsetzen kann, ohne auf eine Entscheidung eines politischen Führers zu warten."

Diese Definition macht etwas klarer, warum Messer „taktisch“ sein können…

Journeyman von Something Obscene Company mit Hawkbill Klinge

Journeyman von SOC

Der stolze Träger der Hawkbill Klinge, das Journeyman, ist ein Titan-Framelock-Flipper mit stattlichem Format. Nicht riesig, aber mit einer Klingenlänge von 87 Millimetern und einer Gesamtlänge von 20,4 Zentimetern besitzt das Journeyman brauchbare EDC Maße.

Beim Klingenstahl hat Felix Landon Archibeque keine Kompromisse gemacht und sich für Böhler M390 entschieden. Vier Millimeter stark ist die Klinge im Bereich des Klingenrückens. Besonders auffällig ist, dass der obere Verlauf des Flachschliffs nicht der Bogenform der Schneide folgt, sondern ein Zentimeter unterhalb des Klingenrückens in einer Geraden verläuft. So ergibt sich ein markantes Klingenlayout mit hohem Wiedererkennungswert.

Die Klinge des SOC Journeyman ist DLC beschichtet und farblich auf die anthrazitfarbenen Titangriffschalen abgestimmt. „Murdered out“ nennt Felix Landon Archibeque dieses Finish. Tatsächlich lässt sich aber an der Klinge keine Struktur ertasten, sie erscheint völlig glatt. Die Beschichtung wirkt wie ein extrem dunkles Stonewash, sodass eventuelle Gebrauchsspuren nicht so deutlich erkennbar sind wie bei einer klassischen DLC-Beschichtung.

Auf der technischen Seite hat das Journeyman alle Features an Bord, die man von einem hochwertigen Titan-Framelock-Folder erwartet.

Die Klinge läuft seidig in einem keramischen Kugellager und steht absolut mittig.

Die Lockbar wird durch einen Stahleinsatz und einen Überdehnschutz vor Verschleiß und Beschädigung geschützt.

Der Anschliff des SOC Journeyman genügt höchsten Ansprüchen und beschert dem Messer mit Hawkbill Klinge in diesem Punkt die bestmögliche Wertung.

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Auch die Flipper-Eigenschaften können überzeugen; zum Öffnen der Klinge genügt ein moderater Impuls auf den Kicker. Der Öffnungsvorgang ist knackig und schnell, obwohl der Detent eher straff eingestellt ist. An Funktion und Justage des Messers gibt es nichts auszusetzen.

Ebenfalls keine Kritikpunkte bei Ergonomie und Handlage. Das Messer liegt sicher und bequem in der Hand. Die Gestaltung des Griffs dürfte Messerfans mit kleinen Händen ebenso zufriedenstellen wie Besitzer von Holzfällerpranken. Der Taschenclip beeindruckt durch seine solide Ausführung. Er ist deutlich breiter als bei vielen anderen Taschenmessern mit Titan-Hardware und hält das Journeyman bombensicher in der Tasche.

SOC Journeyman mit Hawkbill Klinge und Logo

Es ist immer ärgerlich, wenn sich an einem Messer überhaupt kein Kritikpunkt finden lässt, denn das Review bekommt unweigerlich ein „Geschmäckle“ oder riecht nach Lobhudelei, doch das Journeyman leistet sich nicht den kleinsten Fehltritt.

Die Qualität von Material, Verarbeitung, Justage und Funktion liegt auf dem Niveau von Chris Reeve Knives. Die Leistungssteigerung ist bemerkenswert, denn beim J-Cape von SOC gab es Kritik am Anschliff der Klinge.

Felix Landon Archibeque hat im Logo seiner Firma, der geballten Faust, ein Easteregg eingebaut. Also einen versteckten Hinweis.

Wer sich das Logo ganz genau ansieht, wird ohne Worte verstehen, in welchen Situationen seine Messer besonders hilfreich sein werden.

Na klar, so viel Gutes hat seinen Preis. Messer vom Zeichenbrett der Something Obscene Company wandeln immer in etwas höheren Preisregionen. Hergestellt werden die Messer bei Reate. Für das Journeyman muss man in den Finish-Varianten „Murdered out“, „Gentleman Exklusiv“ oder „Satin and Black“ knapp 370,- Euro auf das Konto des Händlers überweisen. Fans klassischer Plain-Jane-Optik können mit der titangrauen Version ein paar Euro sparen.

Die Hawkbill Klinge im Alltag

Ein Nachteil der Hawkbill Klinge ist offensichtlich und auch von Fans dieser Klingenform nicht zu leugnen: Das Nachschleifen ist durch die ausgeprägte Bogenform der Schneide weder mit winkelkonstanten Schleifsystemen wie dem Wicked Edge noch mit einem normalen Bandschleifer möglich.

Alle Schneidearbeiten, bei denen das Schnittgut nicht auf einer Unterlage liegt, erledigt die Hawkbill Klinge mit Bravour. Eine Scheibe Salami abschneiden? Unmöglich. Es sei denn, man/frau hält die Salamistange in der Hand. Einen stabilen Karton zerkleinern ist dagegen überhaupt kein Problem. Die Hawkbill Klinge zieht sich regelrecht in den Schnitt und liefert ein überzeugendes Ergebnis.

Beim Kappen von Sicherheitsgurten, Seilen oder beim Freischneiden von Netzen zeigt die Hawkbill Klinge ihr ganzes Potenzial und verweist Messer mit Standard oder Drop-Point Klinge auf die Plätze. Als Brotzeitmesser macht das SOC Journeyman eine bessere Figur als erwartet, erfordert aber, wie beim Schnitzen, eine angepasste Handhabung. Ob ein Messer mit Hawkbill Klinge als EDC geeignet ist, lässt sich nicht allgemeingültig festlegen. Entscheidend ist der individuelle Einsatzbereich und natürlich der persönliche Geschmack des Messerbesitzers.

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