Realsteel Luna Slip Joint

Realsteel Luna – Slip Joint aus Poltergeist Collab

Taschenmesser des Typs Slip Joint sind im Sommer 2020 beinahe so verbreitet wie Gesichtsmasken und Desinfektionsspray. Es ist kein Trend, es ist ein Boom. Und der wird von einer Messerszene getragen, die immer auf der Suche nach alltagstauglichen, aber gesetzeskonformen Taschenmessern für den EDC-Alltag ist. Und nun Luna, die Mondgöttin. Das Realsteel Luna ist eine vielversprechende Kandidatin für verwöhnte Slip Joint Fans, denn das Realsteel Luna wirkt nur auf den ersten Blick schlicht. Das Design ist gut durchdacht und stammt von einem Könner der europäischen Messerszene. Werden Design, Qualität und Preis einer leibhaftigen Mondgöttin gerecht oder versinkt der Folder in den Tiefen des Alls?

Das deutsche Waffengesetz und die 2020 ins Gesetz aufgenommenen Ausnahmen vom Trageverbot für Messer in Waffenverbotszonen sind der Motor hinter der steigenden Begeisterung der Messerfans für Taschenmesser ohne Klingenverriegelung. Keine Produktkategorie fährt hierzulande dermaßen rasant steigende Umsätze ein. Von der US-Edelschmiede über deutsche Messermacher bis zum Global Player aus China, kein Hersteller kann sich dem deutschen Slip Joint Boom verschließen.

Entsprechend umfangreich ist mittlerweile das Angebot und die monatliche Zahl der Neuvorstellungen klettert auf immer neue Höhen. Ein Messer, das nicht in der Masse untergehen wird, ist das Realsteel Luna, das einer Kooperation der chinesischen Firma mit dem polnischen Designer und Jakub Wieczorkiewicz aka Poltergeist entstammt.

Messerfans kennen Jakub als Macher und kreativen Kopf hinter Poltergeist Works und seine soliden Framelock Folder sind nicht weniger bekannt wie seine von Spyderco lizenzierten Messer mit dem charakteristischen Spydie Hole.

Die Zusammenarbeit zwischen Realsteel und dem polnischen Designer hat inzwischen einen festen Platz im Produkt Portfolio des chinesischen Herstellers, gut zwanzig Messermodelle sind bereits im Rahmen der Zusammenarbeit entstanden. Dazu gehört die Adaption der bewährten Poltergeist Modelle 3001 und 3006 ebenso, wie das markante Banshee, das klassische Sorrow und seit Kurzem auch das Slip Joint Realsteel Luna.

Realsteel Luna

Die Eckdaten des Realsteel Luna sind unspektakulär und schnell erzählt. Eine Gesamtlänge von 168 Millimetern mit sieben Zentimeter Klinge platziert es im Bereich der kleinen bis mittelgroßen Taschenmesser. Den Rahmen des Messers bilden zwei Titan Halbschalen, als Klingenstahl kommt N690 von Böhler zum Einsatz. Die nüchternen technischen Daten verführen dazu, dem Luna beim Scrollen durch die Neuvorstellungen kaum große Aufmerksamkeit zu widmen.

Realsteel Luna, Front, open

Ein Fehler, denn die Stärken des kleinen Slip Joint liegt in einer attraktiven Kombination aus Design, Verarbeitungsqualität und Preis. Jakub Wieczorkiewicz gehört zu den Messerdesignern, die man nicht auf einen bestimmten Stil oder wiederkehrende Formen festlegen kann. Zwar zeigen viele seiner Poltergeist Works Modelle eine stilistische Schnittmenge, doch stecken das erwähnte Banshee und seine Adaption des für Spyderco typischen Messerstils eine ungewöhnlich große Bandbreite ab. Auch das Realsteel Luna ist optisch eigenständig und zeigt, dass hier nicht geschäftstüchtig ein Standardmodell zum Slip Joint umgepfriemelt wurde, sondern ein Design von Grund auf neu gedacht wurde.

Luna hat eine schmale Taille. Mit neun Millimetern Breite ist das Realsteel Luna für ein Taschenmesser mit Titangriffschalen sogar sehr schmal. Die Achsschrauben schließen bündig mit beiden Griffschalen ab, wodurch nicht nur die Haptik verbessert, sondern die schmale Bauweise konsequent umgesetzt wird. Einzig der 48 Millimeter lange und sehr schmal gehaltene Taschenclip lugt hervor. Er lässt sich mittels zweier Schrauben an der Innenseite der rechten Griffschale entfernen. Eine Demontageanleitung samt Explosionszeichnung liegt dem Realsteel Luna bei. Beispielhaft!

Ein Slip Joint muss nicht simpel sein!

Ein kurzer Blick auf die Demontageanleitung dürfte die Bastelambitionen der meisten Messerfans allerdings im Keim ersticken. Der Aufbau des Realsteel Luna ist alles andere als simpel. Gefühlt besteht das Realsteel Luna aus zwei Dutzend Einzelteilen. Ein Leser hat akribisch nachgezählt und 20 Bauteile ausgemacht. Hochwertiges Präzisionswerkzeug ist Pflicht, wenn man dem Luna zu Leibe rücken möchte. Ob die ausgezeichnete Justage des Messers nach einem – hoffentlich – geglückten Zusammenbau erhalten geblieben ist, bleibt abzuwarten.

RealSteel Explosionszeichnung

Zubehör

Eine detaillierte Konstruktionszeichnung liegt dem Realsteel Luna ebenso bei, wie eine Birth Card und ein Mikrofastertuch für die Politur danach.

Die schmale Silhouette erfordert natürlich eine entsprechend schmale Klinge. Die ist aus Böhler N690 gefertigt und misst neben 70 Millimetern Länge ganze 2,2 Millimeter Breite. Damit ist der Anwendungsbereich des Realsteel Luna abgesteckt: ein Gentleman Folder für leichte Schneidearbeiten. Der Klingenstahl gehört zur Mittelklasse und geht bei einem Messer dieser Preisklasse als ordentliche Wahl durch.

Böhler N690

Böhler N690Co
C Cr Co Mo Mn Si V
1,08 % 17,3 % 1,50 % 1,1 % 0,40 % 0,4 % 0,10 %

Der Anschliff des Realsteel Luna ist gleichmäßig und die Klinge gut geschärft. Böhler N690 lässt sich sowohl mit Wasserschleifsteinen wie auch mit gängigen Schärfsystemen (Spyderco Sharpmaker u.a.) problemlos bearbeiten.

Ergonomie, Haptik, Handlage

Der Griff besitzt eine Länge von 95 Millimetern, davon sind etwa 85 Millimeter nutzbar, um das kleine Slip Joint beim Alltagsgebrauch zwischen Fingern und Handballen zu verkeilen. Das reicht für Zeige-, Mittel- und Ringfinger einer durchschnittlichen Männerhand. Der kleine Finger ist am besten als Anschlag hinter dem Messergriff aufgehoben.

Diese Fingerhaltung hat den Vorteil, dass der Daumen nicht zu weit in Richtung Klingenmitte rutscht. Die Vorspannung, mit der die Klinge in der geöffneten Position gehalten wird, ist relativ gering und ein leichter Daumendruck auf das hintere Ende der Klinge genügt bereits, um die Klinge aus ihrer Endposition zu drücken. Viele andere Slip Joints sind deutlich straffer justiert. Ob man diesen Punkt dem Realsteel Luna als Vorteil gutschreibt oder als Nachteil ankreidet, obliegt den Vorlieben des Messerbesitzers. Einerseits besteht keine Gefahr, dass ein übereifriger Rechtspfleger dem Messer wegen einer zu straff eingestellten Rückenfeder eine Klingenarretierung unterstellt, andererseits ist geringer Widerstand beim Einklappen der Klinge immer ein Sicherheitsrisiko.

Damit die Finger des Messerbesitzers nicht in Gefahr geraten, verfügt die Klinge des Realsteel Luna über einen Rastpunkt.

Es ist kein klassischer Halfstop bei 90° Grad Öffnungswinkel, sondern der Rastpunkt wird bereits erreicht, wenn die Klinge um etwa 45° Grad eingeklappt wird. Ein Vor- oder Nachteil ergibt sich durch diese Konstruktion gegenüber Messern mit Halfstop nicht.

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Die Rückenfeder des Realsteel Luna entfaltet ihre Kraft sehr gleichmäßig über den gesamten Öffnungsweg der Klinge. Dadurch ist die Klingenbewegung gut kontrollierbar und Überraschungen, wie blitzartiges Einklappen jenseits des Rastpunktes, bleiben aus. Rückenfeder und Backspacer bilden beim Luna eine Einheit aus einem Stück Stahl. Dadurch gibt es keinen einzigen Spalt, durch den Schmutz eindringen und die Funktion der Mechanik beeinträchtigen könnte. Der Backspacer endet im Griffende unterhalb des Taschenclips, bietet entsprechend viel Auflagefläche für die Griffschalen und sorgt für eine stabile Rahmenkonstruktion.

Die Handlage ist, gemessen an der Größe des Messers, gut. Es liegt beim Schneiden sicher in der Hand und zeigt trotz der glatten Titangriffschalen nur wenig Tendenz, im Handballen hin oder her zu rutschen. Die mit breiten Facetten versehene Griffunterseite beugt nervigen Druckstellen vor.

Über einen klassischen und immer etwas altbacken wirkenden Nagelhau verfügt das Realsteel Luna nicht. Stattdessen hat Designer Jakub Wieczorkiewicz eine lange Hohlkehle kurz unterhalb des Klingenrückens gezeichnet. Die Hohlkehle ermöglicht, die Klinge mit den Fingerkuppen oder dem Daumennagel sicher zu greifen und fungiert gleichzeitig als stilistisches Merkmal, um die Klinge gestreckter und moderner aussehen zu lassen.

Verarbeitung, Modelle und Preise

Dass Realsteel sowohl als OEM Hersteller wie auch bei Messern unter dem eigenen Logo ausgezeichnete Qualitäten abliefert, ist seit Jahren bekannt und das Luna macht in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Wie beim Material ergeben sich auch hinsichtlich Justage und Verarbeitung keine Kritikpunkte. Trotz seines Gewichts von nur 75 Gramm ist das Realsteel Luna ein überdurchschnittlich stabiles Messer. Hier wackelt oder knarzt nichts!

Realsteel Luna, Back, Clip Side, open

Die Oberfläche der satinierten Klinge ist ebenso perfekt wie das Finish der Titangriffschalen, die vollständig versenkten Schrauben machen einen soliden und wertigen Eindruck und der Klingengang des Realsteel Luna ist dank Kugellager weich und geschmeidig. Ein Highlight ist die mit den Griffschalen völlig bündig abschließende Achsschraube, die nicht nur der Optik, sondern auch der Haptik des Messers zugutekommt.

Das Realsteel Luna wird derzeit in fünf Varianten angeboten. Bei zwei Modellen kommen Griffschalen aus Micarta zum Einsatz, wahlweise in Grün oder Braun. Beide kosten im deutschen Online-Handel knapp 110,- Euro, das hier getestete Messer in Titanausführung ist sogar deutlich günstiger und ist bereits für unter 90,- Euro zu haben. Nach unten rundet eine Budget-Version mit blauen G-10 Griffschalen für 27,- Euro das Angebot ab. Die teuerste Varianten an ein Realsteel Luna zu kommen ist das Modell mit Carbongriffschalen und bronzefarben anodisierter Hardware für knapp 130,- Euro (Bezugsquelle unter Links).

Realsteel Luna – Fazit

Luna, die römische Mondgöttin, ist die Tochter der Titanen Theia und Hyperion. Mit Realsteel und Jakub Wieczorkiewicz haben sich zwei Titanen der Messerszene vereint und eine beinahe göttliche Tochter gezeugt. Aber keine Angst, das polnisch-chinesische Taschenmesser macht nicht mondsüchtig, sondern nur auf höchst charmante Art lunasüchtig.

Das Realsteel Luna ist im Alltag ein nützlicher Begleiter und überzeugt durch gute Handhabung und umfängliche EDC-Qualitäten. Seine Gestaltung ist funktional und auf positive Weise schlicht.

Eine gelungene Adaption des typischen Gentleman Folders, gleichsam modern und zeitlos. Wer tagsüber nur leichte Schneidearbeiten zu erledigen hat, findet im Realsteel Luna einen guten Begleiter.

Realsteel Luna Titan, closed

Preislich ist das Messer eine Kampfansage und dürfte jenseits des Atlantiks manchem Hersteller Kopfschmerzen bereiten. In puncto Design spielt das Realsteel Luna in der Oberklasse, seine Verarbeitung braucht keinen Vergleich mit Messern aus Idaho zu fürchten. Mit einer Klinge aus pulvermetallurgischem Stahl, vorzugsweise Böhler M390, wäre es der göttlichen Perfektion noch ein ganzes Stück näher. Von einem Realsteel Luna mit einer Klinge aus Balbachs DSC Inox Rosendamast würden neben manch Messerfan wohl sogar einige römische Götter träumen.

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Realsteel Luna
In einem Satz:
Ein ausgezeichnetes EDC für leichte Schneidearbeiten zum kleinen Preis.
Klingenstahl
Anschliff
Design, Praxistauglichkeit, Sicherheit
Material- und Verarbeitungsqualität
Ergonomie und Justage
Preis-Leistungs-Verhältnis
4.6
Knife-Blog Wertung