SOG Seal XR Review

SOG Seal XR – Review und Praxistest

Messer im militärisch-taktischen Stil gibt es zu Hunderten. Viele, ja sogar sehr viele von diesen Messern sind tacticoole Blender, die schon beim ersten Schuss zurück in ihre Vitrine wollen. Entsprechend groß ist die Skepsis, als die schwarze Box mit dem schlichten Aufdruck „SOG“ eintrifft, aber nicht weniger groß fällt die Überraschung aus, als der Folder auf dem Tisch liegt. Schon nach wenigen Minuten ist klar, dieses Messer besitzt Charakter und jede Menge Potenzial. Das Seal XR weckt Assoziationen zum legendären Humvee: Es ist groß, brachial, ungeschminkt und mit klarer Kante auf Effizienz getrimmt.

Der Vergleich zum allradgetriebenen Lastesel des US-Militärs drängt sich geradezu auf. Aus der offiziellen Bezeichnung „High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicle“ und der kryptischen Abkürzung HMMWV formte der Volksmund der Namen Humvee, der gleichsam technische Bezeichnung und Kosename ist.

Seal XR – da muss man nicht lange raten. Die Navy Seals gehören zu den bekanntesten militärischen Spezialeinheiten der Welt und das Kürzel „XR“ könnte gut für „Extreme“ stehen. Tatsächlich bezieht sich die Bezeichnung „XR“ aber auf den Verriegelungsmechanismus, der von SOG selbst entwickelt und „XR“ getauft wurde.

SOG Seal XR

Das SOG Seal XR ist ein Taschenmesser im taktischen Stil, das stilgerecht vollständig in Schwarz gehalten ist. Das Modell Seal XR wurde bereits als früher Prototyp in Nürnberg auf der IWA 2019 gezeigt und ist Anfang der zweiten Jahreshälfte 2019 in den Handel gekommen. Bei einer Klingenlänge von rund zehn Zentimetern misst das Messer geöffnet über 23 Zentimeter, stemmt satte 232 Gramm auf die Waage und macht dem Humvee damit alle Ehre. Ob es auch so funktional und nützlich wie der H1 ist, klärt sich im Lauf des Reviews.

Axis Lock 2.0 by SOG

Der „XR Locking Mechanism“ ist eine Weiterentwicklung des Axis Lock, dessen Patentschutz vor einiger Zeit ausgelaufen ist. Das wäre für sich genommen kaum eine Nachricht wert, denn Axis Lock Derivate sind längst keine Seltenheit mehr. Was den Verriegelungsmechanismus an diesem Messer so besonders macht, sind Handhabung und Ergonomie, die dem Seal XR den Bedienungskomfort eines Automatikmessers verleihen.

SOG Seal XR, open
Die Formensprache lässt keine Zweifel: Das SOG Seal XR ist als effektives Werkzeug konzipiert.

Na klar, Vollautomaten sind in Deutschland verboten und das SOG Seal XR ist weder ein Voll- noch ein Halbautomat. Es ist ein Flipper mit Klingenverriegelung und keine Feder greift in den Öffnungsvorgang der Klinge ein. Man vermisst die Öffnungsunterstützung auch nicht, denn das SEAL XR flippt seine mächtige Klinge so leicht und so spielerisch, dass man unwillkürlich meint, einen Assisted Opener in der Hand zu halten.

Noch spektakulärer wird es, wenn die knapp zehn Zentimeter lange Clip Point Klinge wieder zurück zwischen die Griffschalen soll. Wie beim klassischen Axis Lock wird ein Hebel kurz hinter der Klingenwurzel zurückgezogen, woraufhin sich eine Verriegelungsstange nach hinten bewegt und die Klinge freigibt. Das Besondere am SOG Seal XR ist, dass die Klinge scheinbar federbelastet einklappt.

Zum zweiten Mal denkt man an Unterstützung durch Federkraft und stellt ein weiteres Mal überrascht fest, dass kein zusätzlicher Mechanismus in diesem Messer verbaut ist. Einer zusätzlichen Feder bedarf das Seal XR auch nicht, denn im Axis Lock ist ja bereits eine Feder enthalten. Die Kraft dieser Feder, die ursprünglich nur dazu gedacht war, die Verriegelungsstange sicher an der Klingenwurzel zu halten, verwendet SOG, um das Schließen der Klinge zu unterstützen.

SOG Seal XR - Review und Praxistest

Dies wird durch eine besondere Formgebung der Klingenwurzel erreicht. Hat man die Verriegelungsstande erst einmal aus der Lock Position gezogen und ist die Klinge einige Millimeter von der geöffneten Position entfernt, drückt die Verriegelungsstange gegen die passgenau geformte Klingenwurzel und unterstützt die Klingenbewegung in Richtung Schließposition.

Keine Zauberei, kein halbseidener Trick und definitiv mehr als nur ein Gimmick. Zwei, drei Minuten Übung reichen aus, um das Timing zu verinnerlichen, mit der man die Klinge scheinbar federbelastet zwischen die Griffschalen laufen lassen kann. Lässt man den Entriegelungsknopf los, wenn die Klinge noch etwa sieben oder acht Millimeter vom Endanschlag im Griff entfernt ist, lässt die Feder des Locks die Klinge regelrecht in die geschlossene Position schnappen. Diese Federkraft, die auf die Klinge im geschlossenen Zustand wirkt, ist quasi der Detent des XR Lock und verhindert das ungewollte Herausgleiten der Klinge.

Aufbau, Griff und Ergonomie des SOG Seal XR

Die Konstruktion des XR Lock beim Seal XR ist ein Muster an Feinabstimmung und ein gutes Beispiel dafür, dass der Detent nicht unbedingt den Klingengang hemmen muss. Mitverantwortlich für den geschmeidigen Gang der Klinge ist ein gekapseltes Kugellager, das so eng eingepasst ist, dass der Abstand zwischen Klinge und Griff deutlich weniger als ein Millimeter beträgt.

Auch die Rahmenkonstruktion des SOG Seal XR weicht in einem Punkt vom klassischen Muster ab. Zwei skelettierte Liner aus Stahl sind über die Klingeachse und einen 60 Millimeter langen Backspacer miteinander verbunden. Verschraubte Abstandshalter („Spacer“ oder „Studs“) sind nicht vorhanden. Dafür ist der Backspacer ausgesprochen voluminös und besitzt am Ende keinen Glasbrecher, sondern ein längliches Werkzeug, dessen Form an das Ende eines Stemmeisens erinnert.

SOG Seal XR - Review und Praxistest 1

Die Alternative von SOG zum Glasbrecher. Mit dem “Persuader” kann man allen möglichen organischen und anorganischen Materialien zu Leibe rücken.

„Persuader“ nennt SOG dieses Tool, was sich ganz brauchbar mit „Überredungskünstler“ übersetzen lässt. Zum Hebeln ist das leicht abgerundete Tool nicht gedacht, aber Glasscheiben lassen sich mit dem Persuader natürlich auch demolieren …

Die Griffschalen bestehen aus GRN (Glasfiber Reinforced Nylon), also eine Variante des bekannten GFK. Bei GRN um ein formbares Verbundmaterial aus Glasfasern und Nylon. Was billig klingt, ist in Wirklichkeit keine schlechte Wahl, denn GRN besitzt mehr Oberflächenhärte sowie höhere Steifigkeit und Festigkeit als G-10. Außerdem ist es UV-stabiler und verwittert nicht. Beide Griffschalen sind mit jeweils zwei TORX Schrauben befestigt.

Das Handgefühl liegt irgendwo zwischen gewöhnungsbedürftig und noch angenehm. Zwar hat man nie das Gefühl, ein „Plastikmesser“ in der Hand zu halten, doch der Griff wirkt deutlich härter, als man es von Carbon oder G-10 gewohnt ist. Die Ränder des Griffs wirken leicht scharfkantig, was einerseits auf das Griffmaterial und andererseits auf die tiefe umlaufende Zahnung zurückzuführen ist. Als Einsatzmesser ist das SOG Seal XR für die Verwendung mit Handschuhen ausgelegt und dann … sind Handlage und Rutschhemmung perfekt.

Exkurs TORX

Der Begriff Torx leitet sich von dem englischen Wort “torque” (Drehmoment) ab und beschreibt ein spezielles Schrauben-Mitnahmeprofil in Vielrundform. Es ähnelt einem sechszackigen Stern mit abgerundeten Ecken. Erfunden wurde das TORX-Profil von der US-amerikanischen Firma Camcar.

Das Patent für das TORX-Profil ist bereits Anfang der 1990er Jahre ausgelaufen, doch der Markenname „TORX“ ist in Deutschland noch immer geschützt. Daher liest man manchmal den sperrigen Begriff „Sechsrund-Schraube“.

Der Griff des SOG Seal XR vermittelt in zweierlei Hinsicht gute Handlage. Zum einen ist er mit ausgeprägten Fingermulden und einem leicht gerundeten Profil sehr gut an eine Männerhand angepasst, zum anderen ist seine gesamte Oberfläche mit einem feinen Rautenmuster versehen und gewährleistet hohe Rutschhemmung. Wie bereits gesagt: Speziell am unteren Rand wirkt die Griffkante ein wenig hart. Nicht hart genug, um es negativ zu beurteilen, aber hart genug, um es zweimal zu erwähnen.

Der Taschenclip des SOG Seal XR greift das Design des Persuader auf und ist mit fast 15 Millimetern ungewöhnlich breit und stabil.

Dafür hält er das Messer sicher in der Tasche und macht der Analogie zum Humvee alle Ehre.

Wahlweise kann der Taschenclip auf der rechten oder linken Seite des Messers montiert werden.

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Neben der Öffnung per Flipper verfügt das SOG Seal XR auch über eine ovale Klingenbohrung und scheint sich auch mit dem Daumen als Einhandmesser öffnen zu lassen. Theoretisch ja, praktisch eher nicht. Es funktioniert, aber der Kraftwinkel ist ungünstig und rechte Freude will sich nicht einstellen. Dann lieber den Hebel der Klingenverriegelung zurückziehen, und die Klinge per Zentrifugalkraft herausschnellen lassen. Das funktioniert bestens.

SOG Seal XR – Klinge und Klingenstahl

Die Klingenform ist eine freie Variation von Clip Point und Drop Point, gewürzt mit einer langen Swedge und einem Hauch Bowie Knife. Die Schneide steigt in einem langen Bogen zur Spitze hin an und besitzt in Richtung Ricasso einen minimalen, fast unsichtbaren Recurve.

CPM-S35VN

CPM-S35VN
C Cr Mo V Nb
1,40 % 14,0 % 2,0 % 3,0 % 0,50 %

An der Klingenwurzel misst die Klinge des SOG Seal XR eine Stärke von 4,75 Millimetern. Durch die Gratlinie im oberen Klingendrittel und den hoch angesetzten Flachschliff geraten Klinge und Schneide nicht zu breit und sind – im Gegensatz zu manch tacticool-überbautem Folder – allen Alltagsaufgaben gewachsen.

Als Klingenstahl verwendet SOG den erprobten CPM-S35VN, ein pulvermetallurgischer Klingenstahl, der weit verbreitet ist und den man heute im Rahmen eines Reviews nicht mehr erklären muss. Die Entscheidung für einen hochwertigen Klingenstahl grenzt das SOG Seal XR von vielen Konkurrenten im Bereich der taktischen Einsatzmesser ab, von denen viele mit unzeitgemäßen Billigstählen oder bestenfalls einem D2-Derivat ausgestattet sind.

Der Schliff der Klinge entspricht der Qualität des Stahls, das SOG Seal XR ist out-of-the-box perfekt geschärft. Handwerkliche Mängel lassen sich selbst unter der Lupe nicht erkennen – der Grinder hat ganze Arbeit geleistet.

SOG Seal XR, halfopen

SOG Seal XR – Fazit

Ein Flipper wie der legendäre Hummer H1. Groß, breit, stabil, universell einsetzbar und … ein zuverlässiges Stück Technik mit Kumpelcharakter. Seine Technik hat sich im Praxistest als zuverlässig erwiesen. Im Alltag hat sich das Seal XR als leistungsfähiges Schneidwerkzeug für jede Lebenslage erwiesen. Wie schon im Intro gesagt, es ist solide, brachial und arbeitswillig …

Dem Listenpreis von knapp 190 Dollar stehen Preise um 160 Dollar im amerikanischen Online-Handel gegenüber. Dafür erhält man ein gut gemachtes Messer, hinter dem ein klarer Gedanke erkennbar ist. Und dieser Gedanke – hier kommt das Besondere – wird nicht nur in der Werbung postuliert, sondern er wurde konsequent in die Realität umgesetzt.

Wenn man sich bei Wettbewerbern von SOG umsieht, findet man viele Messer mit ähnlichem Stil und vergleichbarem Anspruch. Fast alle sind deutlich teurer, die meisten gar doppelt so teuer und nur halb so nützlich. Das Preis-Leistungs-Verhältnis des SOG Seal XR ist ausgezeichnet und zeigt, dass preiswerte Messer – also Messer, die ihren Preis wert sind – nicht zwangsläufig von einem chinesischen Anbieter kommen müssen.

Die Flipper-Eigenschaften und das beinahe automatische Schließen des Messers habe ich ausführlich geschildert. Beides führt in Kombination mit der Qualität von Klingenstahl und Verarbeitung dazu, dass das SOG Seal XR nicht nur ein nützliches Arbeitstier ist, es macht im täglichen Gebrauch auch Spaß. Und es ist unvernünftig. Unvernünftig wie ein Humvee auf der Straße, aber der gleiche Kick für die Seele! Jenseits der Emotionen ist Seal XR das passende Werkzeug, wenn es einmal hart auf hart kommt.

Wer sich für taktische Einsatzmesser begeistern kann, kommt an diesem Messer nicht vorbei, allerdings taucht es seit April 2020 nicht mehr im Shop von SOG auf. Interessenten sollten sich also auf dem Secondhand-Markt umsehen.

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SOG Seal XR
In einem Satz:
Viele Messer bieten sich als Einsatzmesser an, dieses ist wirklich eines und überzeugt mit praxistauglicher Qualität.
Klingenstahl
Anschliff
Design, Praxistauglichkeit, Sicherheit
Material- und Verarbeitungsqualität
Ergonomie und Justage
Preis-Leistungs-Verhältnis
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