TUYA Hive Tanto

TUYA HIVE 2 – Taschenmesser mit American Tanto Klinge

Kleine und mittelgroße Taschenmesser mit oder ohne Klingenarretierung standen in den letzten Monaten nicht nur bei Knife-Blog, sondern vor allem bei vielen Messerfans im Mittelpunkt des Interesses. Ein Messer tritt heute an, um einen Kontrapunkt zu setzen: Das TUYA Hive Tanto ist ein großer Folder mit noch größerer American Tanto-Klinge und optisch alles andere als ein Leisetreter. Doch Größe allein macht nicht glücklich, also lautet die Frage: „Ist das TUYA Hive Tanto ein schnuckeliges EDC oder nur ein unzeitgemäßer Messer-Dinosaurier?“

Die Trageverbote im deutschen Waffengesetz erzeugen natürlich Verdrängungseffekte. Taschenmesser mit voluminösen Klingen oder martialischer Optik scheinen Marktanteile zugunsten kleiner, (vermeintlich) sozial verträglicherer Gentleman Folder zu verlieren. Dreht mal die Uhr einige Jahre zurück und lasst die Messer der damaligen Zeit vor seinem geistigen Auge Revue passieren, tauchen plötzlich Taschenmesser mit Klingenlängen von neun, zehn oder mehr Zentimetern auf.

Das Spyderco Military mit seiner vier Zoll Klinge gehörte damals zu den beliebtesten Taschenmessern der Welt und auf dem deutschen Secondhand-Markt war die Nachfrage nach Military Modellen bis vor wenigen Jahren stets größer als das Angebot. Auch bei den Modellen Subvert (C239) und dem Budget-Folder Resilience (C142GP) ging Spyderco sogar deutlich über vier Zoll Klingenlänge hinaus.

Benchmade und Cold Steel lebten auch in Deutschland von ihren großen Foldern, man braucht nur die Stichworte Adamas, Contego, Rift und Swift in den Ring zu werfen, um die Erinnerungen aufleben zu lassen. Greg Medford erschien auf der internationalen Bühne und seine massiv überbauten Riesenfolder wurden ihm regelrecht aus den Händen gerissen. Extrema Ratio rockte die Messerwelt mit ihren MF und HF Modellen. Wo sind all die großen Messer hin?

Klammheimlich übernahmen „Mini-Modelle“ das Zepter und krempelten den Markt um. Die Klingen begannen zu schrumpfen – auch und vor allem in Deutschland. Mini-Griptilian, Para Military und Mini Tuff waren plötzlich die neuen Stars am schwarz-rot-goldenen Klingenhimmel. Doch für viele Messerfans sind die „Minis“ nicht halb so sexy wie die gleichnamigen Röcke in den Siebzigern. „Half the size is half the fun“ lautet das dezent zweideutige Resümee vieler Messerfans*innen und ja: Taschenmesser mit stattlichen Klingen haben schrumpfenden Marktanteilen zum Trotz immer noch ihre treue Fangemeinde.

TUYA Hive Tanto, Front, open

TUYA Hive 2 mit Tanto-Klinge

Das Verrückte dabei ist: In Deutschland schreibt der Gesetzgeber überhaupt keine maximale Klingenlänge für klappbare Messer vor. Messer mit feststehenden Klingen über 12 Zentimeter Länge unterliegen dem Trageverbot aber ein Klappmesser mit Zehn-Zoll-Klinge ist kein Problem, sofern es sich nicht einhändig öffnen lässt und seine Klinge in geöffneter Position verriegelt werden kann. Ein Einhandmesser mit Klingenverriegelung und Fullsize-Klinge ist also nicht verbotener, als ein ebensolches Messer mit kurzer Klinge. Auf einen Bußgeld-Discount für kurze Klingen hofft der ertappte Einhandmesserbesitzer daher vergeblich.

Schon auf den ersten Blick ist klar, das TUYA Hive Tanto schwimmt gegen den Strom. Nicht halbherzig verschämt, sondern geradeheraus und selbstbewusst. Full Size ist angesagt! Die Eckdaten von 87 Millimeter Klingenlänge und 215 Millimeter Gesamtlänge lassen keinen Zweifel aufkommen. Die Form der American Tanto Klinge mit ihrer großen Seitenfläche tut ein Übriges und lässt die Klinge länger, größer und wuchtiger erscheinen, als sie tatsächlich ist.

Bei der Klingenstärke protzt das TUYA Hive Tanto nicht: Mit 3,90 Millimeter Breite ist die Klinge für ihre Größe ausreichend solide, ohne das Gewicht des Messers in Medford’sche Regionen zu heben. Dafür behält der Klingenrücken seine maximale Breite beinahe über die gesamte Klingenlänge bei, erst kurz vor der Spitze, auf den letzten vier Millimetern, mündet der Rücken in die Klingenspitze.

Exkurs American Tanto

Der Begriff „Tantō“ ist der klassisch-japanischen Messerkunst entliehen. Er bezeichnet in gerades oder leicht gebogenes, einschneidiges japanisches (Kampf-) Messer mit einer Klingenlänge von weniger als 1 Shaku (303 mm).

Bei vielen Bauformen des Tantō steigt die Schneide kurz vor der Spitze in einem engen Bogen auf. Die Klingen zeigen einen Flachschliff mit oder ohne Gratlinie, besitzen aber keine Facetten im vorderen Klingenbereich.

Messer- und Schwertspezialist James Williams hatte 2015 im Knife-Blog Interview zum Unterschied zwischen „Tantō“ und American Tanto Stellung genommen.

Eine moderne Variante der Tantō-Klinge besitzt sowohl einen Facett-Schliff zwischen Blatt und Spitze und steigt so steil an, dass sich eine Aufteilung in Haupt- und Querschneide ergibt.

Zur Abgrenzung gegenüber der klassischen Tantō-Klinge bezeichnet man diese Form als „American Tanto“, da sie als Entwicklung amerikanischer Messermacher gilt und sich zuerst in den USA verbreitete.

TUYA Hive Tanto - Klinge

TUYA Hive – Evolution statt Modellwechsel

Das erste Modell des TUYA Hive erschien in einer Auflage von 200 Stück. Das Taschenmesser besaß eine Drop Point Klinge aus Böhler M390. Auf der IWA Outdoor Classics 2019 wurden der letzte Prototyp und die ersten Messer aus der soeben angelaufenen Produktion der Öffentlichkeit vorgestellt.

Großer Folder oder nicht – das Hive 1 traf das Herz der Messerfans und war schnell ausverkauft. Wie üblich bei TUYA Knife, wird – egal wie erfolgreich ein Modell ist – keine zweite identische Auflage gefertigt, sodass der Name Hive schnell von den Angebotsseiten im Internet verschwand.

Doch die Anfragen rissen nicht ab. Die Gestaltung der Griffschalen war so ungewöhnlich, dass das Messer vielen Interessierten nicht aus dem Kopf ging. Findige Tüftler in den USA hatten bereits alternative Inlays entwickelt, die gegen das standardmäßige Carbon-Inlay ausgetauscht werden konnten und dem Messer eine individuelle Note verliehen.

TUYA Hive 2 Tanto, Griff

Hinter einem Teil der sechseckigen Ausfräsungen wird die hinterlegte Platte aus Carbon sichtbar.

An dieser Stelle betritt das TUYA Hive Tanto die Bühne und der signifikante Unterschied in Form der American Tanto Klinge ist offensichtlich. Doch die Unterschiede zum Vorgängermodell sind zahlreich und schlummern im Verborgenen. Um die Masse der American Tanto Klinge aus Böhler M390 zu schultern, besitzt das Hive 2 eine verstärkte Klingenachse und ein doppelreihiges Kugellager.

Auch der Stahleinsatz an der Lock Bar wurde vollständig modifiziert. Es ist tiefer ins Titan der Lockbar eingefräst und durch neue Formgebung stabiler als der Vorläufer beim Hive 1. Die dritte maßgebliche Änderung betrifft die Griffschalen, auch wenn sie sich auf den ersten Blick nicht von denen des Hive 1 unterscheiden. Das Inlay aus Carbon, das durch die sechseckigen Aussparungen der Griffschalen sichtbar ist, sitzt passgenau in einer Ausfräsung und ist nicht mehr geklebt. Dadurch kann es – mit Vorsicht und etwas handwerklichem Geschick – unbeschädigt entfernt werden, wenn das TUYA Hive Tanto gepimpt werden soll.

Design, Qualität und Ergonomie

Kooperationen zwischen Firmen und Messermachern sind mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme. Viele Hersteller greifen bei der Entwicklung neuer Modelle gerne auf den Input kreativer Geister zurück und das TUYA Hive Tanto ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Es ist eine Collab zwischen dem Designteam von TUYA Knife und dem türkischen Messerdesigner Vahit Dincman, der im Netz mit dem Signet “Bade Modern Designs” unterwegs ist.

Den Abschnitt zur Qualität des TUYA Hive Tanto kann man auf ein einziges Wort reduzieren: makellos! Der Rahmen des Messers wird von einem voluminösen Backspacer aus Titan dominiert, der zusammen mit Klingenanschlag und Achse ein solides Trio bildet. Die Achsschrauben sind beidseitig komplett im Rahmen versenkt, sodass sich eine durchgehende glatte Oberfläche auf beiden Griffschalen ergibt. Auf der Innenseite des Backspacers ist die Seriennummer des Messers eingelasert.

Auch bei der Ergonomie sind keine Einschränkungen hinzunehmen. Der 128 mm lange Griff stellt den Fingern gut zehn Zentimeter Platz zur Verfügung – das reicht auch einer großen Männerhand bequem aus.

Der Daumen ruht derweil auf einem nicht scharfkantigen Jimping am hinteren Ende des Klingenrückens.

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Beide Griffschalen besitzen eine umlaufende Fräsung, die im Bereich des Handrückens breit und an Stellen ohne Hautkontakt schmal ist. Das TUYA Hive Tanto liegt ohne Druckstellen satt und bequem in der Hand.

Das TUYA Hive Tanto im Alltag

Über American Tanto Klingen gibt es höchst unterschiedliche Meinungen: Die einen lieben sie, die anderen lehnen sie kompromisslos ab. Selbstverständlich kriecht immer jemand unter einem Stein hervor und macht Bedenken geltend, wenn man einen Folder dieser Größe mit Tanto Klinge als EDC führt. Zu groß, zu schwer, zu martialisch lauten die klassischen Einwände, aber streiten könnte man allenfalls über den letzten.

Gerade einmal 120 Gramm bringt das TUYA Hive Tanto auf die Waage und da gibt es nicht wenige kleinere Gentleman Folder, die diesen Wert deutlich überbieten. Und die Größe? Ist für mein Empfinden genau richtig. Zumindest bei Messern gilt: „Size matters!“

Die Klinge ist zugegebenermaßen ein echter Brocken, aber weder übergroß noch überschwer. Das Konzept passt und es ist keine Alltagsanwendung denkbar, der die American Tanto Klinge des Hive nicht gewachsen sein könnte. Die Querschneide übernimmt willig alle filigranen Schnitte und kann, da sie stabil ausgeführt ist, in Grenzen auch als Stechbeitel eingesetzt werden. Die 80 Millimeter lange Hauptschneide ist leicht gebogen. So konzentrieren sich die Kräfte auf einen schmalen Abschnitt im Schnittgut, was die Schneidleistung erhöht und dem Festfressen der Klinge vorbeugt.

TUYA Knife Hive 2 mit Tantoklinge

Signifikantes Merkmal der Hive Tanto Klinge ist die Hohlkehle, die sich beidseits nur wenige Millimeter unterhalb des Klingenrückens von der Facette der Querschneide bis kurz vor den Griffansatz zieht. Die Hohlkehle ist tief ausgefräst, nimmt etwas Gewicht aus der Klinge und unterstützt optisch die gestreckte Erscheinung der American Tanto Klinge. Erfreulicherweise geht TUYA Knife auch beim Hive Tanto mit Lasergravuren sparsam um. Links oben findet sich das kleine Signet der Firma, auf der rechten Seite findet sich in ähnlicher Größe das Logo von Bade Modern Designs. Auf dem Kicker legt die Gravur “M390” Zeugnis ab, dass die Klinge des TUYA Hive Tanto aus einem erstklassigen pulvermetallurgischen Stahl gefertigt ist.

Habe ich schon erwähnt, dass das TUYA Hive Tanto ein Flipper ist? Flipper mit Klingen dieser Größe haben das grundsätzliche Problem, dass eine große Masse geflippt werden muss. Bei manchen dieser Flipper muss man einen kräftigen Impuls auf den Kicker geben und die Klinge schleicht trotzdem ziemlich gequält in Richtung Lock. Nicht so beim Hive Tanto, denn jetzt spielt das doppelreihige Kugellager seine Qualitäten aus. Ein leichter Druck auf den Kicker genügt, um die Klinge mit satter Beschleunigung zu versehen.

Die guten Flipper-Eigenschaften muss man nicht mit einem losen Detent bezahlen. Der ist weder besonders leichtgängig noch zu straff. Klingengang und Justage des TUYA Hive Tanto gehören zur Spitzenklasse.

Obwohl die Produktionszahl des Hive Tanto mit 250 Exemplaren etwas höher liegt als beim Vorgängermodell und Knife-Blog das Messer schon kurz nach der Markteinführung erhielt, hat der größte Teil der Messer im Testzeitraum und während der Vorbereitung des Reviews bereits einen Käufer gefunden. Deshalb taucht es auch nicht im Internetshop von Importeur WritingTurningFlipping auf. Der Traum jedes Händlers wurde wahr: Ein neues Messermodell verkauft sich nur auf das Gerücht seiner baldigen Vorstellung hin, bevor es online bestellbar ist. Einige Messer sind derzeit noch verfügbar, Interessenten sollten per E-Mail anfragen.

TUYA HIVE 2 – Taschenmesser mit American Tanto Klinge 1TUYA Knife
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Titelbild: Hintergrundfoto iStock.com:kuppa_rock, Composition: Knife-Blog

TUYA Hive 2 Tanto
In einem Satz:
Wer Taschenmesser mit Tanto-Klinge mag, kommt an diesem Schmuckstück nicht vorbei.
Klingenstahl
Anschliff
Design, Praxistauglichkeit, Sicherheit
Material- und Verarbeitungsqualität
Ergonomie und Justage
Preis-Leistungs-Verhältnis
4.6
Knife-Blog Wertung