Interview mit Aleksandr Cheburkov

Interview mit Messermacher Aleksandr Cheburkov

Aleksandr Cheburkov war lange Zeit in Westeuropa völlig unbekannt aber seine Messer wurden aus dem Stand zu einem Highlight in der Halle 5 bei der IWA Outdoor Classics 2017. Inzwischen sind die Werke des russischen Messermachers nicht nur in Deutschland heiß begehrt; innerhalb kürzester Zeit ist der Name Cheburkov zu einem Geheimtipp in der internationalen Messerszene avanciert. Wie immer bei Knife-Blog, stehen neben den Messern auch die Menschen hinter den Klingen im Fokus. Im Knife-Blog Interview gewährt Aleksandr erstmals Einblick in seinen beruflichen Lebensweg, seine Motivation und seine Philosophie.

Inhalt und Übersicht

Auf der IWA Outdoor Classics 2017 hatte ich Gelegenheit mit dem russischen Messermacher ein ausführliches Interview zu führen. Über eine Stunde lang beantwortete Aleksandr Cheburkov geduldig alle Fragen, berichtete von seinem beruflichen Lebensweg und erläuterte seine Philosophie des Messermachens.

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Aleksandr Cheburkov lebt in Pawlowo, einer Kleinstadt an der Oka im Oblast Nischni Nowgorod. Die Hauptstadt dieses Verwaltungsbezirks hieß bis 1990 Gorki. Dann wurde sie in Nischni Nowgorod umbenannt und trägt somit den gleichen Namen wie der Oblast (Regierungsbezirk).

Pawlowo befindet sich rund 100 Kilometer südwestlich der alten Handelsstadt Nischni Nowgorod.

Zu Zeiten der Sowjetunion war der Bezirk Nischni Nowgorod ein Zentrum der Rüstungsindustrie. Viele hochwertige Waffen und Waffenteile wurden in dieser Gegend produziert, unter anderem Flugzeuge (Sokol, MiG), Panzer (T34) und die U-Boote des Projekts 877, die in Westeuropa als „Kilo-Klasse“ in den 1980er Jahren Berühmtheit erlangten. Neben den namhaften Rüstungsbetrieben gab es viele Stahlwerke, Zulieferbetriebe und unzählige Werke, in denen Kleinwaffen oder Waffenteile hergestellt wurden.

Die Region Nischni Nowgorod war also ein Zentrum der Metallverarbeitung in der Sowjetunion und dementsprechend gab dort auch die entsprechenden Fachkräfte. Nur wenige Betriebe konnten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ihre Produktion erfolgreich auf zivile Güter umstellen, so dass viele tausend hervorragend ausgebildete Handwerker und Industriemechaniker ihre Arbeitsplätze verloren.

Das Interview

„Jahre des Chaos“ nennt Aleksandr Cheburkov heute die Zeit zwischen 1991 und den ersten Jahren nach dem Millennium. Arbeitsplätze gab es so gut wie keine mehr und wer nicht aus der Region weggehen wollte, musste einen neuen Weg finden, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Aleksandr Cheburkov – Die Anfänge

„Nach dem Ende der Sowjetunion habe ich jede Gelegenheit genutzt, ein wenig Geld zu verdienen“, erzählt Aleksandr. „Es waren schwierige Zeiten, in denen wir mehr oder weniger von der Hand im Mund gelebt haben“.

Knife-Blog: Wie kamst du vom Industriearbeiter in einem Rüstungsbetrieb zum Messermachen?

Aleksandr Cheburkov: Wie gesagt, nach dem Zusammenbruch in den 1990er Jahren habe ich Autos repariert, auf dem Bau gearbeitet und alle denkbaren Gebrauchsgegenstände aus Metall hergestellt. Metallbearbeitung ist mein Beruf und es war fast zwangsläufig, irgendwann auch einmal ein Messer zu machen.

Knife-Blog: Wie verlief die Entwicklung vom ersten Messer bis heute?

Aleksandr Cheburkov: Am Anfang habe ich einfache Messer für die Jagd oder die Küche gemacht um meine Familie über Wasser zu halten. Die Käufer mochten meine Messer, weil sie ordentlich verarbeitet, stabil und langlebig waren. Durch Mundpropaganda wurden immer mehr Menschen auf meine Messer aufmerksam, ich produzierte mehr und investierte einen großen Teil der Einnahmen in neue, bessere Maschinen.

Knife-Blog: Du bis heute qualitativ in der Weltspitze angekommen, Präzision und Qualität deiner Messer, aber vor allem die Toleranzen mit denen du arbeitest, sind absolut bemerkenswert.

Aleksandr Cheburkov: Es war ein langer Weg. Viele alte Maschinen habe ich umgebaut und immer wieder verbessert. Einige habe ich selbst entwickelt und selbst gebaut, weil ich Funktionen haben wollte, die normale Industriemaschinen nicht bieten konnten. Ich mache keine Kompromisse, wenn eine Maschine nicht optimal ist, wird sie solange umgebaut bis sie das Ergebnis liefert, das ich brauche. Optimierung ist ein konstanter Prozess, das hört nie auf.

Aleksandr Cheburkov – Die Gegenwart

Knife-Blog: Deine Framelock-Folder werden hier auf der IWA Outdoor Classics 2017 mit großem Interesse aufgenommen und ich habe bisher nur positive Kommentare gehört. Sind Framelock Folder deine Leidenschaft oder bevorzugst du einen anderen Messertyp.

Aleksandr Cheburkov: Bei Klappmessern bevorzuge ich den Framelock, weil es ein einfaches, sehr stabiles System ist. Was hergestellt wird, bestimmt der Markt, aber ich bevorzuge gradlinige, einfache Lösungen. Zuverlässigkeit und Stabilität sind mir wichtig. Man muss sich auf sein Messer verlassen können. Ich werde nicht ewig sein, aber ich möchte, dass meine Messer mich überdauern.

Knife-Blog: Hier auf der IWA habe ich zwischen den ganzen Foldern bisher nur ein Fixed Blade von dir gesehen, wie ist das Verhältnis zwischen Fixed und Folder in deiner Produktion.

Aleksandr Cheburkov: In der ersten Zeit habe ich fast nur Messer mit feststehender Klinge gebaut. In allen Varianten, für jeden Zweck. Ich habe über 500 Modelle gezeichnet, gebaut und erprobt. Vom kleinen Jagdmesser bis zum japanischen Kurzschwert und vom Säbel im orientalischen Stil bis zum Kampfmesser mit Tanto-Klinge. Auch die seltenen Messertypen, die in Zentralasien oder jenseits des Ural gebräuchlich sind, habe ich alle schon gebaut.

Knife-Blog: Und du hast nach Verbesserungsmöglichkeiten bei den alten Formen gesucht?

Aleksandr Cheburkov: Nicht wirklich. Ich habe das gemacht, um zu lernen. Wenn ein Volk seit fünfhundert Jahren den gleichen Messertyp verwendet, dann ist der bereits optimiert. Da kannst du als Außenstehender nichts mehr verbessern, du kannst nur noch versuchen zu verstehen, warum das Messer genauso ist wie es ist.

Knife-Blog: Werden wir noch einige dieser außergewöhnlichen Klingen- und Messerformen aus deiner Werkstatt sehen?

Aleksandr Cheburkov: Wenn der Markt danach verlangt, ja! Einiges ist schon in die aktuellen Modelle eingearbeitet, nimm als Beispiel die Klinge des „Russki”. Ich lebe in einer Gegend, in der Europa und Asien aufeinandertreffen. Du hast dort bei vielen Dingen europäische und asiatische Einflüsse, und beide Kulturen nehmen das jeweils Beste für sich aus dieser Mischung. Das ist auch bei meinen Messern so; sie beinhalten oft Elemente aus beiden Kulturen. (Review „Russki“ von A. Cheburkov)

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Knife-Blog: Für uns Westeuropäer ist der größte Teil der ehemaligen Sowjetunion ein weißer Fleck auf der Landkarte, wir wissen kaum etwas über die Kulturen in Zentralasien. Ich muss gestehen, mein Wissen über Kirgisistan, Tadschikistan, Kasachstan oder Usbekistan und dortige Messertraditionen ist ziemlich rudimentär…

Aleksandr Cheburkov: Messer haben in diesen Gebieten eine lange Tradition. Jedes Land, jede Region, jedes Volk hat seit Jahrhunderten eine eigene Messertradition. Die Messer sind dort Teil der Kultur, man könnte sagen: die Messer sind Teil der Identität der Menschen. Leider kann ich diese Messer nicht ohne weiteres bauen…

Knife-Blog: Nanu, du hast uns doch erzählt, dass du sie erforscht und erprobt hast?

Aleksandr Cheburkov: (lacht) Es ist kein technisches Problem. Es hat mit dem russischen Waffengesetz zu tun. Diese Messer gelten als Waffen, weil sie historisch gesehen, immer auch Waffen waren. In Russland muss ein Hersteller von Messern nachweisen, dass es keine Waffen sind. Ich muss jedes Modell zertifizieren lassen, bevor ich es herstellen, verkaufen oder exportieren darf. Das ist ein gigantischer bürokratischer Aufwand.

Knife-Blog: Also gilt in Russland jedes Messer als „verbotener Gegenstand“ oder Waffe, wenn keine staatliche Unbedenklichkeitserklärung vorliegt?

Aleksandr Cheburkov: Exakt. Dadurch bin ich in meinen Möglichkeiten sehr eingeschränkt und die Zertifizierung verschlingt einen Haufen Geld und Zeit. Wir haben vor kurzem in Russland einen Verband der Messerhersteller gegründet, und tragen unsere Anliegen und Interessen den Abgeordneten vor. Wir streben eine Regelung wie in Israel an.

Urkunde für ein Messer von Aleksandr Cheburkov
Das Zertifikat für einen Folder vom Typ „Russki“ als stabile Plastikkarte mit amtlicher Beglaubigung. Dafür darf man das Messer uneingeschränkt tragen

Knife-Blog: Das heißt, alle Messer und Schusswaffen gelten als Gegenstände ohne Waffeneigenschaft. Folglich haftet nicht mehr der Hersteller, sondern nur der Anwender?

Aleksandr Cheburkov: Genau. Zurzeit haftet in Russland der Hersteller, wenn mit seinem Messer eine Straftat begangen wird und er kein Zertifikat hat. Es gibt Klingenformen, die werden im Moment nicht zertifiziert, bei anderen Formen ist es einfacher. Das folgt aber keiner nachvollziehbaren Logik.

Knife-Blog: In diesem Punkt sind sich Russland und Deutschland sehr nah, auch unser Waffenrecht entbehrt an vielen Stellen jeglicher Logik. Auf jeden Fall erklärt der rechtliche Hintergrund deine sehr aufwändig gestalteten „Birth Cards“, die jedem Messer beiliegen.

Aleksandr Cheburkov: Ja, ich muss eine Kopie des Zertifikats mit jedem Messer ausliefern und in Russland muss man diese Karte genau genommen immer bei sich tragen, wenn man das Messer mitführt.

Aleksandr Cheburkov – Die Zukunft

Knife-Blog: Die Nachfrage nach deinen Messern ist in den letzten Monaten sprunghaft gestiegen, wie viele Mitarbeiter hat deine Firma inzwischen?

Aleksandr Cheburkov: Schon vor vielen Jahren habe ich die ersten Leute eingestellt. Alle Mitarbeiter habe ich selbst ausgebildet. Nur so kann ich gewährleisten, dass sie solides Fachwissen und die richtige Einstellung zum Produkt haben. Inzwischen arbeiten gut dreißig Menschen für die Messerfirma Cheburkov, fast alle in den Werkstätten. Meine Frau Marina kümmert sich um die Buchhaltung und die unvermeidliche Bürokratie.

Knife-Blog: Siehst du dich heute als Messermacher oder eher als Werkstattleiter?

Aleksandr Cheburkov: Beides. Alle Entwürfe stammen von mir, Prototypen baue ich selbst und ich tüftele nach wie vor an den technischen Details. Das ist der Messermacherteil. Inzwischen habe ich einen Meister als Werkstattleiter. Auch er wurde von mir ausgebildet und er ist inzwischen sehr, sehr gut in seinem Fach. Bei der Unternehmensgröße, die wir im Moment haben, kann ich mich nicht mehr um jeden Produktionsschritt bei jedem Messer selbst kümmern. Aber ich überwache meine Mitarbeiter und habe immer ein Auge auf der Endkontrolle.

Knife-Blog: Was ist in der Pipeline, können wir uns auf ein paar neue Folder Modelle freuen?

Aleksandr Cheburkov: Auf jeden Fall. Wir arbeiten gerade an mehreren Prototypen, die im Laufe des Jahres in Produktion gehen werden. Ich lasse mir absichtlich viel Zeit bei der Entwicklung und nehme immer wieder kleine Modifikationen vor, bis das Messer perfekt ist. Manchmal sieht ein neues Modell fertig aus, kein Kunde würden einen Mangel feststellen aber eine Woche später findest du doch wieder eine Kleinigkeit, die man noch verbessern kann. Meine Philosophie ist, egal wie lange die Entwicklung dauert, es geht kein Messer in den Handel, hinter dem ich nicht zu 100 Prozent stehen kann.

Knife-Blog: Das ist ein schönes Schlusswort! Спасибо Александр, что вы взяли время для Knife-Blog.

Aleksandr Cheburkov: Danke dir, Tom.

Da Aleksandr Cheburkov nur russisch spricht, wurde das Interview über einen Dolmetscher geführt. Vielen Dank an dieser Stelle an Alexander Weingart für seine perfekte Simultanübersetzung!

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