Das WE Knife Gava ist das zweite Taschenmesser aus der Zusammenarbeit der chinesischen Firma mit dem polnischen Designer Rafal Brzeski. Auf den ersten Blick ist das Messer mit der von Knife-Blog gewählten Klinge in dunkelgrauem Stonewash so unscheinbar, dass man es im Wust der Neuvorstellungen glatt übersehen könnte. Das WE Knife Gava ist kein Messer, das mit greller Optik oder avantgardistischen Formen um Aufmerksamkeit buhlt. Stattdessen kommt das Taschenmesser mit distinguierter Optik und einem seltenen, aber höchst interessanten Klingenstahl. Ob das Konzept funktioniert und das Klappmesser im Alltag überzeugen kann, werden Review und Praxistest zeigen.
Inhalt und Übersicht
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Der Messermacher und Designer Rafal Brzeski ist noch vergleichsweise neu in der internationalen Messerszene, doch regelmäßige Leser von Knife-Blog dürften bereits über seinen Namen gestolpert sein. Im Vergleichstest 2018 „Fünf Titan Framelock Folder“ wurde mit dem WE Knife Wasabi das erste Messer aus der Kooperation des polnischen Designers mit dem Hersteller aus China vorgestellt. Vom Fleck weg konnte sich das erste Messer aus der Zusammenarbeit gegen renommierte Mitbewerber von Bestech Knives bis Liong Mah behaupten.
Rafal Brzeski stammt aus Legnica im Südosten Polens und betreibt neben seiner Technologiefirma seit einigen Jahren auch die kleine Messermanufaktur „BRR Knives“. Die Abkürzung „BRR“ steht im Firmennamen für „Rafal Brzeski robil“. In Deutsche übersetzt heißt das so viel wie „Rafal Brzeski tat es“ oder „Rafal Brzeski hat es gemacht“. Wer sich über das ungewöhnliche Titelbild mit dem etwas grimmig dreinschauenden Oktopus gewundert hat – das ist schnell erklärt. Rafal Brzeski hat dieses Tier zu seinem Maskottchen erkoren.
Trifft man den Messermacher auf einer Ausstellung, steht an prominenter Stelle auf seinem Tisch ein giftgrüner, einäugiger Oktopus. Inzwischen ist eine stilisierte Variante des Kraken zu seinem Logo geworden. Seitdem findet man den stilisierten Oktopus auf seinen handwerklich hergestellten Messern ebenso wie auf dem WE Knife Gava.
Auch über den Lebensweg von Rafal Brzeski muss man nicht viele Worte verlieren. Er ist Techniker und Ingenieur durch und durch. Als Spezialist für Messinstrumente war er an der Technischen Universität Breslau tätig, besitzt eine eigene Firma im Technologie-Bereich und war zwischendurch auch als Gutachter und technischer Forensiker tätig. In seiner Freizeit zeichnete Rafal technische Systeme, baute sie nach, dachte sie neu, schuf Verbesserungen oder entwarf Schmuck.
WE Knife Gava von Rafal Brzeski
Irgendwann landete er beim Thema „Messer“ und ihm erging es nicht anders als den meisten Knife-Blog Lesern: Die Begeisterung für Messer ist ein Virus. Natürlich gutartig! Wer sich allerdings mit dem Messervirus infiziert, wird es nie wieder los! Die Infektion fand bei Rafal Brzeski im Jahr 2013 statt. Plötzlich waren Schmuck und technische Gadgets belanglos und Rafal wandte seine Kreativität dem Design von Messern zu.
Rafal bezeichnet sich selbst ausdrücklich nicht als Hersteller, sondern als Messer Aficionado (passionate about knives). Titan ist sein Lieblingswerkstoff, den Rafal Brzeski bei allen Messern einsetzt. Nicht minder ausgeprägt ist sein Faible für hochwertige Klingenstähle und beide Vorlieben vereinen sich auch beim WE Knife Gava.
WE Knife Gava
Der erste Eindruck des WE Knife Gava ist zunächst wenig spektakulär. Ein Griff aus schwarz anodisiertem Titan und eine mit dunkelgrauem Stonewash versehene Klinge sorgen für eine distinguierte Erscheinung des Framelock Flippers. Dieser Stil hat seine Fangemeinde in der Messerszene, aber mit der Optik allein ist kein Blumentopf zu gewinnen. Werfen wir also einen Blick auf die technischen Eigenschaften des WE Knife Gava.
Beim Klingenstahl seines zweiten Taschenmessers in Zusammenarbeit mit WE Knife hat sich Rafal Brzeski für CPM 20CV des US-Herstellers Crucible Industries entschieden. Die Entscheidung ist insofern interessant, als im Markt der hochwertigen Taschenmesser aus Serienfertigung in den letzten Jahren CPM-S35VN und Böhlers M390 beinahe unter sich waren. Die Tage von S35VN scheinen gezählt, schließlich hat Crucible mit CPM-S45VN bereits einen dezent optimierten Nachfolger präsentiert. Und Böhler M390 ist nicht nur teuer, er ist in manchen Ecken der Welt auch nicht jederzeit verfügbar.
Klingenstahl CPM-20CV
Um den 20CV Stahl macht Hersteller Crucible merkwürdigerweise ein Geheimnis. Weder die Legierungsanteile noch Daten zur Wärmebehandlung stellt der amerikanische Konzern im Internet zum Abruf bereit. Stattdessen meldet ein Pop-up-Fenster lapidar: „For further information, please contact sales“ (Für detaillierte Informationen kontaktieren Sie bitte unsere Verkaufsabteilung).
An anderer Stelle lässt sich das Datenblatt bei Crucible Industries nach kurzer Suche – gewollt oder ungewollt – jedoch problemlos downloaden. Ein Blick auf das Legierungskonzept offenbart eine verblüffende Ähnlichkeit des US-Stahls mit Böhler M390 Microclean. Tatsächlich unterscheiden sich beide Stähle nur durch marginale Beimischungen von Mangan und Silizium bei Böhler M390 Microclean.
C | Cr | V | Mo | W |
---|---|---|---|---|
1,90 % | 20,0 % | 4,0 % | 1,0 % | 0,60 % |
Bei einer Klausur wären Ergebnisse mit solcher Ähnlichkeit – vorsichtig formuliert – einigermaßen verdächtig. Wurde hier etwa die Rezeptur eines der renommiertesten Klingenstähle kopiert? Auch die Anlasstemperaturen beider Stähle für optimale Verschleißbeständigkeit unterscheiden sich nicht. Egal. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass sich hinter CPM 20CV nichts anderes als die US-amerikanische Variante von Böhler M390 Microclean verbirgt.
Wer tiefer in die Materie der Messerstähle, der Legierungselemente und ihre Einflüsse auf einen Klingenstahl einsteigen möchte, wird in den Knife-Blog Artikeln „Messerstahl – Ein kleines Kompendium“ und „Moderner Messerstahl im 21. Jahrhundert“ fündig.
WE Knife Gava – Design und Technik
Rafal Brzeski zeichnet lieber praxisorientierte Taschenmesser als flippige Designexperimente und das WE Knife Gava liegt voll in dieser Tradition. Das Messer wirkt beinahe etwas nüchtern, manch Messerfan mag ein optisches Alleinstellungsmerkmal, einen Farbklecks oder vielleicht eine ungewöhnliche Klingengeometrie vermissen. Doch für den technikaffinen Polen zählen optische Gimmicks nicht, er legt sein Augenmerk auf Material, Verarbeitung, Funktion und Ergonomie. Kniffe und Feinheiten im Design des WE Knife Gava sind dennoch vorhanden, wenn man genau hinsieht.
Ein Beispiel ist die Schleifkerbe, die als Gerade von der Schneide zur Klingenwurzel verläuft. Viele Flipper weisen an dieser Stelle eine große, runde Aussparung auf, damit der Kicker beim Schleifen nicht im Weg ist. Das sieht selten gut aus und verkürzt die Schneide. Dieses Problem umgeht Rafal Brzeski durch die schräg angesetzte Schleifkerbe und sorgt ganz nebenbei für etwas optischen Pfiff.
Die Klinge ist eine Mixtur aus Clip Point im Bereich des Klingenrückens und einer klassischen Drop Point Klinge beim Verlauf der Schneide. Den Klingenrücken ziert eine Swedge, die deutlich hinter der Klingenspitze ansetzt und daher eher eine optische als praktische Rolle spielt. Eine in beide Seiten nahe der Klingenwurzel gefräste Aussparung verleiht der konservativ geformten Klinge ein wenig optische Dynamik, eine Funktion besitzt dieses Designmerkmal nicht.
Die Klinge des WE Knife Gava besitzt einen Flachschliff, der unterhalb der Gratlinie ansetzt. Absolut gelungen ist der Anschliff der Taschenmesserklinge, sie ist in Sachen Präzision und Symmetrie kaum zu toppen.
Auf den ersten Blick wirkt die dem Griff zugewandte Hälfte der Schneide völlig gerade, tatsächlich beschreibt sie aber einen leichten Bogen.
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Der Radius ist dabei so groß gewählt, dass der Effekt einerseits nicht sichtbar ist und andererseits immer nur ein kurzer Abschnitt der Klinge am Schnittgut anliegt. Dadurch konzentriert sich die Kraft auf einen kurzen Abschnitt der Schneide, was das Festfressen der Klinge verhindert und sie noch schärfer und schneidfreudiger erscheinen lässt.
Dass der Lock Arm am Framelock des WE Knife Gava sowohl einen austauschbaren Stahleinsatz wie auch einen integrierten Überdehnschutz besitzt, versteht sich von selbst und sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Auch das Käfigkugellager mit Kugeln aus einem keramischen Material gehört 2021 zum Standard bei hochwertigen Taschenmessern. Es führt und zentriert die nur 3,2 Millimeter starke Klinge und sorgt für einen sanften, kultivierten Klingengang.
Handhabung und Ergonomie
Das WE Knife Gava lässt sich als Flipper per Impuls mit dem Zeigefinger auf den Kicker oder als Frontflipper öffnen. Letzteres funktioniert ausgezeichnet, da sich zwei Finger bequem am langen, stabilen Taschenclip abstützen können und der Daumen ordentlich Druck auf den Kicker geben kann. Das muss er auch, denn die Vorspannung des Lock Arm ist relativ hoch und der Detent somit deutlich auf der strafferen Seite. Wenn sich das WE Knife Gava etwas eingelaufen hat, macht sich der straffe Detent weit weniger bemerkbar wie zu Beginn.
Das WE Knife Gava gehört mit einer Gesamtlänge von rund 19,5 Zentimetern zu den mittelgroßen Taschenmessern. Die für die Finger nutzbare Grifflänge beträgt 85 Millimeter und stellt auch für Männerhände ausreichend Platz zur Verfügung, um das Messer sicher, bequem und ermüdungsfrei halten zu können. Der Kicker fungiert beim geöffneten Messer als vorderer Anschlag für die Finger und ist in dieser Hinsicht perfekt geformt. Durch seine Breite von 12,6 Millimetern füllt der Griff die Faust gut aus und man hat nie das Gefühl, ein zu kleines oder zu zierliches Messer in der Hand zu halten.
Ein Lob verdient der Taschenclip des WE Knife Gava. Er ist nicht nur optisch gut auf das Messer abgestimmt, sondern auch ausreichend lang und sehr stabil ausgeführt. Seine Rolle beim Öffnen des Taschenmessers als Frontflipper habe ich bereits erwähnt.
Jetzt kommt Farbe ins Spiel
Trotz des ebenfalls schwarz anodisierten Backspacers aus Titan ist das WE Knife Gava nicht völlig in Schwarz gehalten. Alle Schrauben sind in einem hellen Bronzeton anodisiert und setzen einen farblichen Akzent. Aber auch wer seinen EDC-Alltag gerne farbenfroher gestaltet, wird bei WE Knife fündig. WE Knife bietet neben Messern, Stiften und Accessoires mit seinem „WE Cat“ auch ein farbig anodisiertes Tool an. Der Name sagt es bereits, das 74 Millimeter hohe und 42 Millimeter breite Tool symbolisiert eine Katze.
Tool ist vielleicht nicht ganz die treffende Bezeichnung, denn eine Funktion wie Kapselheber oder Prybar bietet das WE Cat nicht, für solch schnöde Verwendung wäre die Titankatze aber auch viel zu schade.
Nach dem deutschen Waffengesetz könnte dieses Accessoire allerdings als verbotener Schlagring eingestuft werden, auch wenn die Katze für diese Verwendung nicht geeignet erscheint. Knife-Blog rät deutschen Fans der Marke zur Vorsicht.
Das WE Cat wandelt zwischen Accessoire und Schmuckstück, lässt sich mit der beiliegenden Kette als Schmuck um den Hals tragen oder mittels Paracord als voluminöses Bead verwenden.
Ein Hingucker ist das WE Cat allemal und die Farbpalette reicht von Titangrau bis zu hellem Lila und von einem glänzenden Silberton bis zur hier abgebildeten bronzefarbenen Version mit türkis eingefärbten Öhrchen und Schnurrhaaren.
Ansprechend gestaltet und sehr sauber gearbeitet ist das WE Cat ein Must-have für Fans der Marke außerhalb Deutschlands und eine gute Ergänzung zum hier vorstellten, schwarzen WE Knife Gava.
WE Knife Gava – Praxistauglichkeit und EDC-Qualitäten
Die Qualität des Gava ist makellos, wie man es von WE Knife kennt. Über die praktischen Fähigkeiten eines Messers entscheidet sein Designer und Rafal Brzeski hat ebenfalls ganze Arbeit geleistet. Sein Design ist unaufdringlich und trotzdem voller Geschick. Das wiederkehrende Element von Geraden an Schleifkerbe, vorn unten am Griff sowie oben und unten am Griffende zeugen von liebevoller Detailarbeit. Die optische Rekapitulation der Form des Taschenclips in der Ausfräsung an der Klinge ist ein Leckerbissen.
Im Alltag ist das WE Knife Gava ein ebenso unaufdringliches wie wirkungsvolles Werkzeug. Seine Schneidleistung gehört in die Topklasse und mit 105 Gramm Gesamtgewicht trägt es auch unter leichter Kleidung nicht auf. Der pulvermetallurgische CPM 20CV Klingenstahl gehört ohne Frage zu den besten derzeit erhältlichen Messerstählen. WE Knife härtet die Klinge auf 59 – 60 HRC. Bei diesem Wert erreicht CPM 20CV sein Optimum hinsichtlich Verschleißfestigkeit und Schnitthaltigkeit.
Das Handling des Gava im Alltag ist problemlos, vor allem, wenn es sich etwas eingelaufen hat. Dann stimmt die Vorspannung der Lock Bar und die Klinge lässt sich auf beide Arten lässig flippen. In allen ergonomischen Belangen haben sich beim WE Knife Gava keine Kritikpunkte ergeben, die Handlage passt gleichermaßen für kleine und große Hände. Auch Damenhänden sollte der Griff des Gava gut passen.
Das Lock steht optimal und die Entriegelung der Klinge klappt ohne Gefummel oder Krafteinsatz. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Klinge perfekt mittig steht und keinerlei Spiel aufweist. Beides schaffen manchmal auch deutlich teurere Messer nicht.
Last but not least: Der Anschliff des Messers gehört zum Besten, was man im Bereich Serienmesser kaufen kann. Entsprechend hoch ist die Schneidleistung. Zum Lieferumfang gehört die typische WE Knife Pouch, ein Poliertuch sowie der giftgrüne WE Knife Aufkleber.
Um ein schwarzes Gava bei einem deutschen Online-Händler zu erwerben, muss man knapp 280,- Euro in die Hand nehmen. Qualitativ hat WE Knife längst zu den großen Namen der Messerbranche aufgeschlossen, allmählich schließen alle führenden chinesischen Hersteller auch beim Preis auf. Ein Preisbrecher ist das Gava nicht, aber ein Messer, das sein Geld wert ist.
Gibt es Kritikpunkte? Nein. Das Gava ist für mich eines der besten Taschenmesser der chinesischen Firma überhaupt und das beste EDC dieses Herstellers seit dem WE Knife Deacon. Technisch und qualitativ hat das WE Knife Gava das Potenzial, zum Referenzmesser seiner Klasse aufzusteigen. Der Rest ist – wie immer – Geschmackssache…
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Links, technische Daten und Bewertung
- Bezugsquelle: Gava bei Heinr. Böker Baumwerk GmbH
- Hersteller: Gava bei WE Knife
- Homepage: Rafal Brzeski
- Knife-Blog Artikel: Toni Tietzel Reazio – Fixed mit CPM 20CV Klinge
- Knife-Blog Thema: Messerstahl
- Knife-Blog Thema: Titan Framelock Folder im Review
Messertyp | Einhandmesser mit Flipper-Öffnung |
Gesamtlänge / Länge geschl. | 195,1 mm / 125,5 mm |
Klingenlänge | 82,6 mm |
Klingenstärke | 3,2 mm |
Klingenstahl | CPM 20CV, 59 – 60 HRC |
Griffmaterial | Titan, anodisiert |
Griffstärke | 12,6 mm, Tip-Up Right Carry |
Klingenverriegelung | Framelock mit Stahleinsatz und OTS |
Gewicht | 105 Gramm |