Das LionSteel TRE ist das Messer des Jahres! Alljährlich werden auf der Blade Show in Atlanta die Produkte des Jahres gekürt. Die wertvollste Auszeichnung lautet „Overall Knife Of The Year“ und ist eine Art Weltmeistertitel für Messer. In diesem Jahr ging der begehrte Preis erstmalig nach Italien. Der Stellenwert des Sieges ist beträchtlich: Ein weltweit beachteter Ritterschlag für das Messer und mehr oder weniger eine Lizenz zum Geld drucken für den Hersteller.
Inhalt und Übersicht
- Bühne frei für das LionSteel TRE
- Aufbau, Klinge und Klingenstahl
- Vom Flipper zum Zweihandmesser
- Qualitätsprobleme beim Lionsteel TRE
- LionSteel TRE – Fazit
- Links und Bewertung
Im Regelfall bleibt der begehrte Titel in den USA, über zehn Jahre lang wurde der Messer-Oscar an amerikanische Hersteller vergeben. 2015 geschah, womit niemand wirklich gerechnet hatte: Nicht Chris Reeve, nicht Zero Tolerance und auch nicht Kershaw standen ganz oben auf dem Podium, sondern der italienische Hersteller LionSteel. Über Nacht war das LionSteel TRE in aller Munde – Grund genug, sich dieses Messer einmal genau anzusehen!
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Zero Tolerance hatte mit dem futuristischen Modell 0999 große Hoffnungen auf den vierten Titel in fünf Jahren gehegt und die Fans von Chris Reeve waren sicher, dass das Sebenza 25 gewinnen wird.
Darrel Ralph und Pro-Tech Knives wurden Außenseiterchancen eingeräumt und auch Kershaw hatte heiße Eisen im Feuer.
Doch wie so oft, kam alles völlig anders …
2015 schlägt also die Stunde einer kleinen Firma aus Maniago in Italien.
„And the winner is … LionSteel!”
Bei der Verkündung des Siegers herrscht im Saal für eine halbe Sekunde betretenes Schweigen. Köpfe drehen sich, Augen werden aufgerissen, einige der Gäste sehen zu Boden. Doch die Weltelite der Messerhersteller fängt sich schnell. Tosender Applaus setzt ein und die Enttäuschung der Verlierer wird professionell überspielt.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, welche Ehre LionSteel 2015 zuteil wurde. Seit über einem Jahrzehnt konnte kein europäischer Hersteller mehr in die Phalanx der amerikanischen Gewinner einbrechen.
Jahr | Hersteller | Modell |
2004 | CRKT | Ed Van Hoy Snap Lock |
2005 | Kershaw Knives | Onion Offset |
2006 | William Henry Knives | GenTac CTD |
2007 | Kershaw Knives | Tyrade |
2008 | Chris Reeve Knives | Umnumzaan |
2009 | Lone Wolf (Benchmade) | Defender |
2010 | Chris Reeve Knives | Ti-Lock |
2011 | Zero Tolerance | 0777 |
2012 | Zero Tolerance | 0888 |
2013 | Zero Tolerance | 0454 |
2014 | CRKT | Ken Onion Hi Jinx |
Bühne frei für das LionSteel TRE
Das LionSteel TRE ist ein Framelock Flipper mit noch nie gesehener Wandlungsfähigkeit. TRE steht für „Three Rapid Exchange“. Die Abkürzung lässt sich etwas sperrig mit „drei schnelle Wechsel“ übersetzen. Tatsächlich bezieht sich die Wechseleigenschaft auf die Öffnungsmethode. Das LionSteel TRE kann als Zweihandmesser, manueller Flipper und Einhandmesser mit Daumenpin konfiguriert werden. In der offiziellen Schreibweise des Herstellers wird die Abkürzung mit drei Punkten geschrieben, die im Text jedoch sehr sperrig wirkt. Daher verwende ich im Review die Schreibweise „TRE“.
Der Umbau ist denkbar einfach und in weniger als einer halben Minute erledigt, das notwendige Werkzeug und alle Kleinteile liegen dem TRE bei. Mit dieser Wandlungsfähigkeit lässt sich das Messer an unterschiedliche gesetzliche Vorgaben anpassen und beispielsweise während einer Urlaubsfahrt problemlos umbauen. Das TRE System hat LionSteel zum Patent angemeldet.
Technische Daten LionSteel TRE
LionSteel TRE | Daten und Ausstattung |
---|---|
Messertyp | Flipper, Einhandmesser, Zweihand, konfigurierbar |
Klingenlänge / Schneide | 74 mm |
Klingenstärke | 3,5 mm |
Klingenform | Drop Point |
Klingenstahl | Böhler M390 |
Länge offen / geschlossen | 175 mm / 101 mm |
Griffmaterial | Titan |
Gewicht | Gramm |
Ausgeliefert wird das LionSteel TRE in der Flipper Variante in einer passgenau gefertigten Holzbox. Zwei mitgelieferte TORX Schlüssel (Größen 6 und 8) finden ebenso in der Box Platz wie alle benötigten Kleinteile. Letztere sind nicht einfach beigelegt, sondern lassen sich in der Box festschrauben, wodurch das Verlustrisiko minimiert wird. Die Präsentation des Messers in der Box hat Stil und überzeugt auf den ersten Blick.
Die Größe des LionSteel TRE unterscheidet sich kaum von einem Small Sebenza, besticht allerdings durch ein modernes Design, weiche Linienführung und sanft gerundete Kanten. Das TRE ist ein Handschmeichler und ist gerade groß genug, um auch einer Männerhand einen einigermaßen sicheren Griff zu gestatten.

Die Aussparung, um den Framelock zu entriegeln, ist so gestaltet, dass der Zeigefinger dort während der Arbeit mit dem Messer sicheren Halt findet. Auf eine Daumenrampe verzichtet LionSteel zugunsten des sanft gerundeten Klingenrückens. Das fehlende Jimping beeinträchtigt die Handhabung nicht, auch so findet der Daumen genügend Auflagefläche und Halt, um druckvolle Schnitte auszuführen.
Aufbau, Klinge und Klingenstahl
Die Klinge besteht aus Böhler Stahl M390, den LionSteel auch für einige andere Modelle einsetzt. Bei „M390 Microclean“ handelt es sich um einen pulvermetallurgischen Stahl, der ursprünglich für Industriemaschinen entwickelt wurde. Bei der Pressung von DVD-Rohlingen, Kunststoffteilen oder als Formstahl bei der Herstellung von Microchips ist Böhler M390 weit verbreitet.
Seine Eigenschaften haben M390 einen sehr guten Namen in der Messerszene eingebracht. Der Stahl besitzt hohen Verschleißwiderstand, sehr gute Korrosionsbeständigkeit und hohe Zähigkeit. Zudem lässt er sich besser auf Hochglanz polieren als viele andere Werkzeugstähle.
Die Klinge des LionSteel TRE besitzt klassische Drop-Point Form und ist fein satiniert. Auf dem Klingenrücken ist in ungewöhnlicher Form eine nicht geschärfte Schneide aufgebracht. Diese Reverse Swedge verläuft nicht wie üblich von der Klingenspitze in Richtung Klingenwurzel sondern befindet sich in der Mitte des Klingenrückens. Betrachtet man die Klinge von oben, beginnt die Swedge nach etwa einem Drittel der Klingenlänge, verjüngt sich auf dem zweiten Drittel um schließlich zwei Zentimeter vor der Klingenspitze zu enden. Sehr ungewöhnlich, etwas extravagant und sehr schön.
Auf der linken Klingenseite ist das LionSteel Logo mit dem Zusatz „Italy M390“ gelasert, auf der rechten Seite findet sich der Schriftzug „moletta“, dem Namen des Designers.
Die Klinge ist „out-of-the-box“ extrem scharf und rasiert Haare mühelos ab. Der Klingenschliff ist sehr präzise ausgeführt, trotzdem kann man erkennen, dass beide Seiten ganz unterschiedliche Schleifwinkel aufweisen.
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Das LionSteel TRE gibt es in zahlreichen Ausführungen, neben der Titan-Variante in diesem Artikel ist das Messer auch mit Carbon Griffschalen oder farbigen G-10 Griffen verfügbar. Das mattgraue, dezent strukturierte Titan unterstreicht den Charakter des Messers als Gentleman Folder allerdings optimal. Beide Griffschalen, der einteilige Spacer und der beidseitig montierbare Taschenclip, werden komplett aus 6Al4V Titan hergestellt.
Vom Flipper zum Zweihandmesser
Der Umbau von einem Flipper zu einem beidhändig zu öffnenden Gentleman Folder geschieht durch Lösen einer einzigen Schraube. Mit dieser ist der Kicker unten an der Klinge befestigt. Um das Gewinde abzudecken, steht eine spezielle Schraube zur Verfügung und der Kicker kann in der Box festgeschraubt werden.
Genauso einfach geht die Verwandlung in ein Einhandmesser vonstatten. Eine Schraube oben auf der Klinge wird dabei durch ein kleinen Klingenheber ersetzt, der mit einer weiteren Spezialschraube an der Klinge befestigt wird. Danach lässt sich die Klinge des LionSteel TRE mit dem Daumen öffnen.

Ein Fall für geduldige und besonnene Gemüter ist das Zerlegen des LionSteel TRE. Aufgrund der Bauweise des IKBS Lagers öffnet man mit dem Entfernen der Griffschalen automatisch auch die Abdeckung des Kugellagers.
Das ist unter „Einsatzbedingungen“ keinesfalls empfehlenswert und vielleicht sogar ein Fall für den Fachmann. Wer nach der Demontage noch alle Teile besitzt, kann sich beim Zusammenbau an den Grafiken von LionSteel orientieren.
Der Taschenclip macht einen fragilen Eindruck. Der Steg ist nur etwa 1,5 mm stark, das kann bei Titan etwas knapp bemessen sein, um den Anforderungen des rauhen EDC-Alltags zu genügen. Dafür lässt sich der Clip beidseitig montieren und als Zubehör gibt es anodisierte Taschenclips in drei Farbvarianten.
Qualitätsprobleme beim Lionsteel TRE
Bei einem Flipper ist die Frage aller Fragen: Flippt das Ding oder flippt es nicht. Und mit dieser Frage beginnen die Probleme des Messers. Das LionSteel TRE, das mir zum Review vorliegt, flippt ausgezeichnet. Die Klinge steht mittig und das Framelock funktioniert problemlos.
Noch während der Arbeit am Review gehen Nachrichten ein, dass viele Käufer mit dem Messer nicht zufrieden sind. Die Rede ist von Problemen mit der Klingenlagerung, qualitativ schlechten Anschliffen, Klingenspiel und schlecht passenden Griffschalen bei der Carbon Version. Meldungen über Messer mit Qualitätsproblemen häufen sich in Foren und auf Facebook. Ein Händler bestätigt gegenüber Knife-Blog, dass die Zahlen der Beschwerden und Rückgaben beim LionSteel TRE überdurchschnittlich hoch sind.
Solche Qualitätsschwankungen sind natürlich ein Alarmsignal und ich beschaffe drei weitere Exemplare des LionSteel TRE. Tatsächlich weisen zwei der drei Messer die gleichen Probleme auf, die auch auf den Online-Plattformen geschildert wurden.
Die Qualitätsschwankungen werden sich über die nächsten Monate wie ein roter Faden durch die Geschichte des LionSteel TRE ziehen und den Sieg des Messers auf der Blade Show verblassen lassen. Es gibt hervorragend verarbeitete Exemplare und es gibt schlampig montierte Montagsmodelle. Es gibt perfekt geschliffene Klingen und regelrechten Messermurks. Gut und Böse liegen beim LionSteel TRE eng zusammen, sodass Online-Bestellungen einer Lotterie gleichkommen.
Wer eines der ordentlich justierbaren Modelle des LionSteel TRE ergattern konnte, wird feststellen, dass die Klinge butterweich und spielfrei auf den beiden IKBS Kugellagern läuft. Das „Ikoma Korth Bearing System“ habe ich in einem speziellen Artikel ausführlich vorgestellt (IKBS – Kugellager für Messerklingen).
LionSteel TRE – Fazit
Die Verarbeitung der LionSteel TRE befindet sich manchmal auf höchsten Niveau und manchmal ist das Messer kaum brauchbar. Die leichte Asymmetrie im Klingenschliff wirkt sich nicht negativ beim Einsatz des Messers aus, ist aber eines Weltsiegers unwürdig.
Die Ergonomie des Messers ist gut gelungen, der mechanische Aufbau ist – vom Clip abgesehen – alltagstauglich. Mit der Wandlungsfähigkeit in drei verschiedene Messertypen besitzt der kleine Folder ein Alleinstellungsmerkmal und deckt einen weiten Einsatzbereich ab.

Modernes, frisches Design kombiniert LionSteel mit optischen Leckerbissen, wie der „Reverse Swedge“ auf dem Klingenrücken. Ein IKBS Kugellager in einem Messer dieser Größe ist ein technischer Leckerbissen. In Sachen Klingengang, Verriegelung, Justage und Handhabung schwanken die Benotungen von Messer zu Messer stark. Die abschließende Wertung spiegelt daher die schlechtesten, nicht die besten Ergebnisse wieder.
Reden wir über den Preis: In der qualitativen Topliga kann das LionSteel TRE nicht mithalten. Preislich liegt es zwar deutlich unter dem bereits angesprochenen Small Sebenza von Chris Reeve, muss sich in Sachen Qualität und Exemplarstreuung allerdings der amerikanischen Konkurrenz geschlagen geben. Im Online-Handel ist das LionSteel TRE mit Titan Griffschalen anno 2020 für rund 260,- Euro erhältlich, mit G-10 Griffschalen kostet es zurzeit knapp unter 200 Euro.
Der gegenüber dem Sebenza günstigere Preis relativiert sich durch den deutlich geringeren Wiederverkaufswert und die teilweise extremen Qualitätsschwankungen. Letztere werden dafür sorgen, dass das LionSteel TRE auf dem Second Hand Markt zum Ladenhüter wird. LionSteel hat nach dem Titelgewinn offenbar mit Hochruck produziert und die Qualitätskontrolle zurückgestellt. Masse statt Klasse. Ohne Not hat LionSteel eine vermutlich einmalige Chance ausgelassen.
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Links und Bewertung
- Knife-Blog Thema: Titan Framelock Folder
- Homepage des Herstellers: LionSteel
- Knife-Blog: Messer und Ausrüstung im Praxistest
- Pro & Contra: Wie Knife-Blog wertet
