Wenn es einen Hersteller von Messern auf diesem Planeten gibt, der sich „Flipper Company“ nennen darf, dann ist das ohne Frage die amerikanische Firma Zero Tolerance. Über neunzig Prozent der Folder mit dem ovalen ZT-Logo lassen sich mit einer leichten Bewegung des Zeigefingers blitzartig öffnen. Das 2016 vorgestellte ZT 0220 stammt aus der Feder des dänischen Designers Jens Ansø und reiht sich bei Zero Tolerance nahtlos in die Tradition stylisher Flipper ein. Was das Messer mit dem auffälligen, orangefarbenen Backspacer im Alltag so drauf hat, klärt sich im Review.
Inhalt und Übersicht
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Der Begriff „Danish Design“ entstand in den 1980er Jahren, als Designer aus dem kleinen Land zwischen den Meeren mit einer Reihe innovativer Entwürfe bei Uhren, Möbeln und in der Unterhaltungselektronik für Aufsehen sorgten. Im Laufe weniger Jahre wurden Designs aus Dänemark berühmt für ihre Schlichtheit, Eleganz, ihren unaufdringlichen skandinavischen Stil und hohe Praxistauglichkeit. Dänisches oder etwas weiter gefasst: Skandinavisches Design wurde zu einem Qualitätsmerkmal und Verkaufsargument.
Auch in der Messerszene kennen wir Elemente des dänischen Designs schon viele Jahre aber nur wenige Messermacher aus Skandinavien konnten sich dauerhaft in der internationalen Oberklasse behaupten. Einer von Ihnen ist Jens Ansø, der seine Werkstatt in dem abgelegenen Örtchen Sporup im Osten Jütlands betreibt.
Jens begann 1988 mit den ersten Entwürfen für Messer und ist seit 2001 in der internationalen Messerszene aktiv. Jens Ansø ist ein ruhiger, manchmal ein wenig in sich gekehrt wirkender Mensch und setzt damit einen Kontrapunkt zu den lauten Stars und Sternchen der Szene. Weltweit bekannt wurde Jens Ansø durch das Modell Pingo, das 2012 in einer Kooperation mit Spyderco entstand.

Danish Dynamite
Während das Pingo ein kleiner Slip-Joint Folder war, der den radikalen dänischen Messergesetzen genüge tat, sind die Customs aus der Feder von Jens Ansø größer, massiver und fast immer mit einem Framelock ausgestattet. In diese Gruppe passt auch das Zero Tolerance ZT 0220, dessen Vorstellung im Frühjahr 2016 viel Aufmerksamkeit erregte. Es ist das erste Messermodell von Jens Ansø, das in Zusammenarbeit mit den Flipper Spezialisten aus Tualatin in Oregon entstand.
Ein Messer mit und für Zero Tolerance zu entwerfen ist ein Ritterschlag für jeden Designer. Als Mitglied in der illustren Runde von Rick Hinderer, Todd Rexford, Les George oder Dmitry Sinkevich wird jeder neue Name mit Lichtgeschwindigkeit in der globalen Messerwelt bekannt. Anfang 2016 wurde Jens Ansø als „der Neue“ im Zero Tolerance Team vorgestellt; kurze Zeit später folgte mit dem ZT 0220 das erste Ergebnis der neuen Kooperation.
Das ZT 0220 ist ein Folder mit einer 9 cm langen Klinge aus dem derzeit angesagten Klingenstahl S35VN. In natura ist das Messer größer, stabiler und einen Hauch wuchtiger als es auf vielen Abbildungen wirkt. Auf der IWA 2016 wurde das Messer erstmals in Europa der breiten Öffentlichkeit gezeigt und war einer der umlagerten Stars am Messestand von Zero Tolerance. Auch Designer Jens Ansø war in Nürnberg zu Gast und stand als freundlicher und geduldiger Ansprechpartner zur Verfügung.
Schon immer war Zero Tolerance bemüht, den Messern ihrer Marke einen unverwechselbaren Stil zu verleihen und in den letzten Jahren wurde aus dem Werkzeug „Messer“ mehr und mehr ein Lifestyle Artikel. Das ZT 0220 ist ein konsequenter Schritt auf diesem Weg, es kombiniert schlichtes, funktionales Design mit hohem Wiedererkennungswert durch den charakteristisch geformten, orangefarben anodisierten Backspacer.
ZT 0220 – Aufbau und Technische Daten
In Sachen Material und Technologie fahren Jens Ansø und Zero Tolerance alles auf, was derzeit ein qualitativ hochwertiges Messer ausmacht. Der bereits erwähnte Klingenstahl S35VN von Crucible Steel ist mittlerweile fast ein Muss in der Oberklasse; die Tage von D2, 154CM und Co. sind definitiv vorbei. Der Griff des ZT 0220 wird von zwei Titan-Halbschalen gebildet, die nur durch den langen Backspacer, den Stop-Pin und die Klingenachse miteinander verbunden sind.
Die Titan-Griffschalen gehören mit 4 mm Materialstärke zu den soliden Vertretern ihrer Art und verleihen dem Messer spürbare Stabilität. Die Oberflächen des Titans sind perlgestrahlt, alles Kanten sind ergonomisch gerundet. Die Materialbearbeitung von Titan und Klinge ist an allen sichtbaren und verborgenen Stellen absolut makellos.
Kohlenstoff | Chrom | Molybdän | Vanadium | Wolfram | Niob | Silizium | Nickel | Schwefel | Phosphor |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1,34 % | 14,0 % | 2,0 % | 3,0 % | 0,40 % | 0,50 % | 0,50 % | 0,25 % | 0,04 % | 0,03 % |
Auch bei den eingesetzten technischen Lösungen macht Zero Tolerance keine Kompromisse. Die Klinge wird durch eine massive Achsschraube und das bewährte KVT Kugellagersystem geführt. Schaut man im Gegenlicht seitlich auf die Klingenachse, kann man die kleinen Kugeln nahe der Achsschraube gut erkennen. Der Klingengang ist ausgezeichnet – butterweich und mit minimalem Kraftaufwand läuft die Klinge ins Lock.
Auch der Detent kann auf Anhieb überzeugen, der Kraftaufwand zum Öffnen der Klinge ist für mein Empfinden genau richtig gewählt. Der Kicker ist ausreichend groß und lässt sich mit und ohne Handschuhen gut bedienen. Eine grobe Riffelung bietet dem Zeigefinger sicheren Halt. Eine Feinheit im Design ist die Form des Kickers, dessen Linienführung leicht versetzt aber parallel zur Vorderseite des Griffs verläuft und so eine optische Einheit bildet.
Die Klinge wird durch ein Framelock verriegelt und rastet vernehmlich ein, wobei der Lockarm bei einem neuen Messer knapp im ersten Drittel der Klinge steht. Der Lockarm besitzt klingenseitig einen auswechselbaren Einsatz aus Stahl (Steel-Insert). Dadurch kommt der Lockarm nicht mit der Klingenwurzel in Berührung und bei Verschleiß oder einem im Alter hakelig gewordenen Lock kann der Einsatz mit wenigen Handgriffen ausgewechselt werden.
Beim genaueren Hinsehen zeigen sich am Verriegelungsmechanismus ebenfalls einige unscheinbare aber interessante Details. Das Steel-Insert am Lockarm dient zusätzlich als Überdehnschutz für den Lock Arm. Diese Funktion ist von außen nicht sichtbar und erfolgt durch einen Überstand des Inserts, der sich an der Griffschale abstützt und so den Weg des Lock Arms begrenzt.
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Betrachtet man das ZT 0220 in der seitlichen Aufsicht, bilden Klinge und Griff zunächst eine gerade Linie. Etwa ab der Mitte knickt der Griff deutlich nach unten ab. Als ich die ersten Fotos der ZT 0220 Prototypen sah, hatte ich, einem Grundvertrauen gegenüber Zero Tolerance und Jens Ansø zum Trotz, die Befürchtung, dass dieses Design die Handlage negativ beeinflussen könnte. Um so größer war mein Erstaunen auf der IWA, dass genau das Gegenteil richtig ist und sich durch diesen „Knick“ eine angenehme und ergonomisch sinnvolle Handlage ergibt.
Die Handlage passt für eine mittelgroße Männerhand hervorragend, der Zeigefinger findet Halt in einer üppig dimensionierten Mulde und der „Knick“ liegt genau hinter dem Daumenballen. Alle Finger finden ausreichend Platz und die Handlage ist stabil. Obwohl die Griffschalen keine Riffelung oder Rutschhemmung besitzen, liegt das Messer sicher in der Hand.
Feinarbeit im Detail
Manchmal ist die interessantere Frage nicht, welche Stilmittel ein Messer besitzt, sondern welche Stilmittel es nicht besitzt. Beim ZT 0220 fallen sofort zwei Dinge auf, die sich im Widerspruch zum aktuellen Zeitgeist befinden. Weder auf dem Klingenrücken noch an irgendeiner Stelle am Griff besitzt das Messer ein Jimping (rutschhemmende Riffelung). Nicht viele große Folder kommen ohne dieses Stilmittel aus und erstaunlicherweise vermisst man die Jimpings beim ZT 0220 nicht. Der Daumen liegt auf dem glatten Klingenrücken auf und die Finger finden auch ohne gefräste Rillen guten Halt.

Schön schlicht oder todlangweilig?
Das ZT 0220 wirkt nüchtern und beinahe etwas unterkühlt.
Ebenso auffällig wie erstaunlich ist der Verzicht auf eine Fehlschärfe im vorderen, oberen Klingenbereich. Zur Zeit gilt eine ausgeprägte Fehlschärfe als schick und trendy, bei manchen Messern zieht sie sich fast bis an die Klingenwurzel. Jens Ansø geht einen eigenen Weg und hat eine schnörkellose Drop Point Klinge gezeichnet.
Die sehr hoch angesetzte Gratlinie beginnt gut drei Zentimeter hinter der Klingenspitze. Von der Gratlinie bis zur Schneide besitzt die Klinge einen gleichmäßigen Flachschliff. Dass Jens Ansø bei seinem ersten ZT Modell mit zwei nahezu obligatorischen Stilmitteln bricht, ist genauso mutig wie kreativ. Trotzdem ist das Ergebnis überzeugend. Auf unkonventionellen Wegen zu überraschenden Ergebnissen zu kommen, war schon immer signifikant für dänisches Design.
Der orangefarbene Backspacer setzt den einzigen farblichen Akzent am ZT 0220.

Die Eleganz des ZT 0220 ergibt sich unter anderem aus einer besonderen Linienführung der Klinge. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass die Schneide einen ganz leichten Recurve besitzt. Man muss tatsächlich zweimal hinsehen, so dezent ist die Biegung ab der Mitte der Schneide zur Klingenwurzel hin. Obwohl der Recurve nur sehr gering ist, verleiht die daraus entstehende Linienführung dem Messer Leichtigkeit und Eleganz.
Der Taschenclip ist als Deep Pocket Clip ausgeführt und kann mittels zweier Schrauben wahlweise links oder rechts befestigt werden. Die Tragweise „Tip-Up“ ist vorgegeben. Auf dem anthrazitfarbenen, fast schwarzen Clip prangt ein weißes ZT Logo. Ein Clip in der Farbe des Backspacers könnte die Harmonie der Gestaltung noch fördern.
Zero Tolerance ZT 0220 – Fazit
In der Praxis führen die technischen Lösungen und Design-Elemente zu sehr guten Ergebnissen. Das ZT 0220 ist ein äußerst solides EDC mit ordentlichen Allround-Eigenschaften. Alle Komponenten des Messers sind hervorragend verarbeitet und bestehen aus besten Materialien. Innovatives Design inklusive. Mit einem Listenpreis von dreihundert Dollar ist das ZT 0220 allerdings kein Schnäppchen.
Das Design ist, wie immer, Geschmackssache. Nüchtern, schnörkellos und leicht unterkühlt hebt sich das ZT 0220 deutlich von manch barocker Erscheinung aus dem Haus Zero Tolerance ab.
Ohne Frage gehört das „220er“ technisch zu den besten Messern, die Zero Tolerance bisher für das breite Publikum hergestellt hat. Die inzwischen zehnjährige Erfahrung der „Flipper Company“ aus Oregon ist an vielen Stellen und in vielen Details sichtbar.
Seine Stärken zeigt das ZT 0220 im Alltag, wo es mit gutem Handling, sicherer Bedienung und weitem Einsatzspektrum punkten kann. Für ZT Fans ist dieses Messer ein Muss aber es hat auch das Potenzial, Messerfans zu begeistern, die noch kein Messer mit dem Zero Tolerance Logo ihr Eigen nennen. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist akzeptabel. Wer ein solides und zuverlässiges EDC sucht, macht mit der Anschaffung des Zero Tolerance ZT 0220 keinen Fehler.
Links, technische Daten und Bewertung
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- Knife-Blog Thema: Taschenmesser im Review
- Zero Tolerance: Messer Reviews
- Knife-Blog Rubrik: Einhandmesser
- Artikel: Die besten Stähle für Taschenmesser
- Basiswissen: Messerstahl – Das kleine Kompendium
- Hightech: Moderner Messerstahl im 21. Jahrhundert
Zero Tolerance ZT 0220 | Daten und Ausstattung |
---|---|
Messertyp | Einhandmesser mit Framelock |
Klingenlänge / Schneide | 89 mm / 92 mm |
Klingenstärke | 3,8 mm |
Klingenform | Drop Point |
Klingenhöhe | 27 mm |
Klingenstahl | CPM-S35VN |
Länge offen / geschlossen | 213 mm / 124 mm |
Griffmaterial | Titan |
Gewicht | 176 Gramm |