Messer aus der Ukraine? Gibt es anno 2023 trotz Dauerbeschuss einen Hersteller für zivile Messer in der Ukraine? Die Kriegswirtschaft verknappt nicht nur geeignete Stähle für Messermacher, sondern limitiert auch Maschinen, Schleifbänder, das benötigte Personal und blockiert viele Exportwege. Der Zerstörung von Stahlwerken und allen Angriffen auf die Infrastruktur zum Trotz gibt es noch aktive Messerhersteller. BPS Knives aus Kiew produziert Fixed Blades in verschiedenen Größen für Jagd, Survival und Alltag und kämpft mit dem Export. Ungeachtet aller Schwierigkeiten gelangen die ukrainischen Messer ins Ausland, seit Kurzem sogar zu einem Fachhändler in Deutschland.
Inhalt und Übersicht
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Ukraine ist in diesen Tagen ein schwieriges Thema. Krieg, unendliches Leid, Bombenterror gegen Zivilisten und jenseits der Front ein durchgeknallter Diktator, der Westeuropa mit Vernichtung droht. Viele Menschen, Organisationen und Länder unterstützen die Ukraine und dank der Hilfe geht das Leben dort weiter. Kinder werden geboren, gehen zur Schule und lernen Berufe. Manche werden Messermacher. Handwerklich hergestellte Messer aus der Ukraine sind also kein Widerspruch, sondern ein Lebenszeichen!
BPS Knives
Bei den Messern mit feststehender Klinge reicht die Palette vom Neck Knife über Jagd- und Allzweckmesser, im Fachjargon nennt man sie EDC (Every Day Carry, Alltagsmesser). Der Begriff „Outdoor-Messer“ ist Wischiwaschi, schließlich kann man jedes Messer im Freien verwenden und auch als Abgrenzung gegen nichtexistierende „Indoor-Messer“ taugt die Bezeichnung nicht. Klar ist, die Messer von BPS Knives sind nicht für die Vitrine, sondern für den Arbeitsalltag gedacht. Für den Arbeitsalltag im Freien. Also doch „Outdoor-Messer“? Meinetwegen.
BPS Knives befindet sich mitten in Kiew, nicht weit vom Fluss Dnepr und nur einen Steinwurf vom internationalen Ausstellungszentrum und der Patriarchalkathedrale entfernt. Was davon noch steht und unbeschädigt ist, weiß in diesen Tagen hierzulande niemand. Die etwas versteckt gelegene Messerwerkstatt gibt es auf jeden Fall noch. Serhii and Pavlo Bondarenko haben das Familienunternehmen 2017 gegründet und betreiben es heute mit einer kleinen Mannschaft. Einen Achtungserfolg konnte die junge Firma bereits einfahren, für die französische Firma Coutellerie Tourangelle fertigen die Ukrainer von Altmeister Fred Perrin designte Messer.
Unabhängig von Modell und Klingenlänge gibt es bei den Messern von BPS Knives eine ganze Reihe Gemeinsamkeiten. Standardmäßig wird jedes Messer mit einer handgefertigten Lederscheide geliefert. Bei den Modellen für den Outdoor- und Survival-Bereich steckt zusätzlich ein Fire Starter (Zündstahl) in einer Lasche. Notfalls lassen sich durch Hiebe mit dem Klingenrücken auf den Stahl Funken erzeugen, mit denen eine Mischung aus getrocknetem Laub, feinen Holzspänen oder Zunderschwamm zum Glimmen gebracht werden kann. In diesem Wiki wird erklärt, wie es mittels Zündstahl gelingt, ein Feuer zu entfachen.
Eine weitere Gemeinsamkeit der Fixed Blades aus der Kiewer Werkstatt ist die Full-Tang-Bauweise. Der durchgehende Flacherl sorgt für Stabilität und ermöglicht Survival-Techniken vom Hackschlägen bis Batoning. Die Schrauben der Griffschalen lassen sich mit einem Inbusschlüssel lösen. Das hilft nicht nur bei einer eventuellen Grundreinigung, sondern erhöht die Lebensdauer der Messer. Defekte Griffschalen können leicht überarbeitet oder ersetzt werden.
Carbonstahl für die Klingen
Für viele Klingen verwendet BPS Knives den Werkzeugstahl AISI 1066. Der niedrig legierte Kohlenstoffstahl taucht im Geflecht der deutschen DIN-Nummern gelegentlich unter der Bezeichnung „66Mn4“ oder mit der Allgemeinbezeichnung „C60“ auf. Mit 0,65 Prozent Kohlenstoff, einer Prise Chrom (ca. 0,25%) und kleinen Beimischungen von Mangan und Silizium liegt der Eisengehalt bei beachtlichen 98 Prozent.
Als zeitgemäßen Messerstahl kann man AISI 1066 heute nicht mehr bezeichnen, der Stahl wird im Maschinen- und Fahrzeugbau für stark belastete Teile und bei der Herstellung von Geschützen und anderem Kriegsgerät eingesetzt. Auch nach der vollständigen Zerstörung des Hüttenwerks Asowstal in Mariupol wird in der Ukraine noch Stahl produziert, unter anderem von Kriworoschstal im zentralukrainischen Krywyj Rih. Das dortige Stahlwerk gehört zum ArcelorMittal-Konzern und dort steht AISI 1066 auf der Produktliste.
Theoretisch könnte man AISI 1066 auf deutlich über 60 HRC härten, aber BPS Knives belässt es bei 58 HRC um die benötige Zähigkeit des Stahls für die Klingen großer Messer zu erhalten. Das gelingt erstaunlich gut. Sämtliche von Knife-Blog angewandten „Foltermethoden“ hat die 135 mm lange Klinge eines „Adventurer Outdoor Bushcraft“ Messers überstanden und sich als unerwartet scharf, schnitthaltig und zäh erwiesen, ohne dabei allerdings mit den Werten moderner Hochleistungsstähle (MagnaCut, Böhler M390, CPM-S35VN) konkurrieren zu können. Härte und Zähigkeit sind nicht das Problem von AISI 1066, das Problem ist die geringe bis nicht vorhandene Korrosionsresistenz.
Der Klingenstahl korrodiert bereits durch Kontakt mit der in der Luft enthaltenen Feuchtigkeit oder durch Fingerschweiß und fühlt sich gut eingeölt am wohlsten. Salze, Fruchtsäuren, Zwiebeln und auch die salzhaltige Luft am Meer führen schnell zur Oxidation der Oberflächen. Besitzer ebenso edler wie teurer Kochmesser aus Carbonstahl wird die geringe Korrosionsträgheit bekannt vorkommen. Zusammengefasst in einem Satz: Messer mit Klingen aus AISI 1066 bedürfen stets einer pflegenden Hand oder strafen ihren Besitzer mit hässlichen, korrodierten Oberflächen und in späteren Phasen auch mit Lochfraß.
Abhilfe schafft Kamelienöl, das viele Messerfans ohnehin in ihrem Schrank haben. Als Korrosionsschutzmittel wird das Öl traditionell zur Pflege von japanischen Kochmessern und fernöstlichen Klingenwaffen eingesetzt, um Rostbildung auf dem Kohlenstoffstahl vorzubeugen. Da das Öl keinen nachteiligen Einfluss auf Lebensmittel hat, ist die Reinigung von Messern von diesem Öl vor einer Brotzeit nicht erforderlich. Das Allzweck-Hausmittel Ballistol erfüllt den gleichen Zweck, sofern man den Geschmack des Waffenöls mag.
Damit die Messer ihre Kunden nicht mit Korrosionsspuren erreichen, sind die Klingen nicht nur eingeölt, sondern auch zusätzlich in Frischhaltefolie eingewickelt. Richtig gelesen: Eine Papphülle und darüber Frischhaltefolie! Man muss sich halt zu helfen wissen. Die Folie erfüllt ihren Zweck und mit einem Papiertaschentuch lässt sich ein Gutteil des Öls von der Klinge wischen. Ein Papiertaschentuch mit giftgrünem Firmenaufdruck liegt deshalb jedem Messer von BPS Knives bei.
Viele Messer von BPS Knives kommen einem Scandi-Grind, manche Modelle sind auch mit Flachschliff erhältlich. Gegen den Scandi-Grind spricht bei Gebrauchsmessern für Outdoor-Aktivitäten nichts, diese Variante des Anschliffs stammt – Nomen est omen – aus Skandinavien. Dort ist der Scandi-Grind bei Outdoor-Messern für Jagd oder Bushcraft seit jeher Standard.
Die Vorteile des Scandi-Grind liegen in der leichten Nachschärfbarkeit, wozu nur ein Schleifstein und etwas Wasser benötigt werden. Durch die breite Schneidfase besteht bei diesem Anschliff genügend Auflagefläche, um die Klinge ohne weitere Hilfsmittel schärfen zu können.
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Neckie von BPS Knives
Den Fixed Blades für die Verwendung als EDC stellt BPS Knives zwei Neck Knives zur Seite, ein Kiridashi und ein klassisches Neckie mit Drop-Point-Klinge. Letzteres hört auf den markanten Namen „Techno Bee“. Die 60 Millimeter kurze Klinge des Messers mündet in einen rund elf Zentimeter langen Griff, dessen Länge eine brauchbare Handlage zulässt. Da die umlaufende Kante des Griffs nur entgratet ist, keine Fase besitzt und nicht abgerundet ist, schafft es „Techno Bee“ nicht in die Liga der Handschmeichler.
Dafür bringt das Neckie eine alltagstaugliche Klinge mit und hebt sich mit dieser Eigenschaft von vielen wesentlich teureren Neck Knives bekannter Marken ab. Auf Carbonstahl verzichtet BPS Knives bei diesem Messer, nicht aber auf den Scandi-Grind. Das Neckie wird stattdessen aus dem chinesischen Stahl 5Cr14MoV gefertigt. Der gehört ebenfalls zu den Budget-Stählen, kann jedoch mit guten Eigenschaften bei Zähigkeit und Korrosionsträgheit punkten. Schnitthaltigkeit und Nachschärfbarkeit liegen im Mittelfeld. Mit 5Cr14MoV an einem Neck Knife kann man leben.
Wie die großen Brüder wird auch die „Techno-Biene“ mit einer hochwertig verarbeiten und sehr wertig wirkenden Lederscheide geliefert. Die Qualität der Lederarbeit überrascht positiv. Zahlreiche „Nobel-Neckies“ werden mit deutlich schlechteren Lederscheiden oder mit Karo-Einfach-Kydex angeboten. In diesem Punkt kann die „Techno-Biene“ ein paar Extrapunkte einfahren.
Wie sehr die Messermacher in Kiew um Materialien kämpfen müssen, zeigt sich bei der „Halskette“ zum Umhängen des Neckies. Kein Paracord, kein Lederriemen und erfreulicherweise auch keine Kugelkette à la Klospülung. Stattdessen ein Schnürsenkel. Genauer gesagt: ein schwarzer Schürsenkel für einen Herrenschuh. Klingt nach einer charmanten Lösung, ist aber ebenso unpraktisch wie gefährlich, da der Schnürsenkel so reißfest ist, dass man damit gewürgt werden könnte. Beim Anschaffungspreis von 36,90 Euro für das „Techno Bee“ bleiben aber genügend Münzen für ein „Halsketten-Upgrade“ übrig.
Mit 116 Gramm ist das „Techno Bee“ kein Leichtgewicht. Material und Tragekomfort gehen für die Preisklasse in Ordnung, Das „Techno Bee“ von BPS Knives würde in einem Vergleichstest die Konkurrenz nicht abhängen, müsste sich aber auch nicht schämen. Für einen Platz im Mittelfeld reicht es allemal, vielleicht könnte das Neckie aus Kiew sogar den Titel „Preis-Leistungs-Sieger“ ergattern.
BPS Knives – Fazit
Machen wir uns nichts vor, die Messer von BPS Knives sind ziemlich rustikale Gesellen. An die hochwertigen Fixed Blades von Spartan Blades oder Herstellern aus Nord- oder Westeuropa reichen die Messer aus Kiew derzeit nicht heran. Schlecht sind sie dennoch nicht, denn echte Mängel muss man bei den Messern von BPS Knives nicht in Kauf nehmen. Die Griffschalen sind ordentlich angepasst, das Holz ist von erstaunlich guter Qualität und der Anschliff lässt keine Wünsche offen.
Bei der Oberflächenbehandlung des Holzes oder Feinschliff an mancher Kante muss man Abstriche hinnehmen, was aber angesichts der geforderten Preise keinerlei Schmerzen verursacht. Dafür sind die aufgebrachten Lasergravuren scharf und kontrastreich. Neben dem Firmenlogo lasert BPS Knives die verwendete Stahlsorte und die Herkunft voller Stolz „Made in Ukraine“.
Bei der Bewertung von Messern und der verwendeten Materialien spielt der Verkaufspreis eine wichtige Rolle. In der teuren Oberklasse führt jede kleine Unzulänglichkeit zu deutlichen Abwertungen, in der Budget-Klasse stehen hingegen Alltagstauglichkeit und Nutzwert des Messers im Vordergrund. Selbst innerhalb der Budget-Klasse sind die Messer von BPS Knives als preisgünstig zu bewerten. Je nach Größe und Ausführung der Messer liegen die Preise im deutschen Online-Handel zwischen unter 30,- (Kiridashi) und knapp 60,- Euro (Survival-Messer). Eine handwerklich hergestellte Lederscheide gehört bei allen Messern zum Lieferumfang.
Der Klingenstahl AISI 1066 hat nach heutigen Maßstäben seine Zeit als Messerstahl längst hinter sich und Messer aus westlicher Produktion mit diesem Stahl müssten deutliche Abwertungen hinnehmen. Top-Stähle auf dem Weltmarkt einkaufen, ist für BPS Knives derzeit kaum möglich. Deshalb erfolgt keine Bewertung. Stattdessen verneigt sich Knife-Blog respektvoll vor den Messermachern in Kiew, die versuchen, unter widrigen Umständen das Beste aus dem Gegebenen zu machen.
Das Preis-Leistungs-Verhältnis der Messer von BPS Knives kann man nur attraktiv nennen. Mehr Messer für weniger Geld kann man kaum bekommen. Messer in dieser Preislage sind nur selten mit moderneren Klingenstählen ausgestattet, sind häufig mit Plastikgriffen statt mit Echtholz beplankt und werden nicht mir einer soliden und gut gemachten Lederscheide geliefert. Von teilhandwerklicher Fertigung ganz zu schweigen.
Das Beste zum Schluss: Die Messer von BPS Knives sind nicht einfach nur rustikal, sie besitzen jede Menge ungekünstelten Charme, sind alltagstauglich und machen Spaß.
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Links
- Hersteller: BPS Knives
- Bezugsquelle: Messer & Co
- Knife-Blog Thema: Messerstahl – Ein kleines Kompendium
- Knife-Blog Rubrik: Fixed Blades im Praxistest
- Knife-Blog Thema: Preisgünstige Messer
- Transparente Regeln: Wie Knife-Blog wertet
Bildnachweis Titelbild: Depositphotos.com (Hintergrund, Flagge), Messer und Gestaltung: Knife-Blog