Messerfans soll man keine Messer schenken. Auch nicht zu Weihnachten! Stattdessen lieber Gutscheine oder Bares, denn aus dem unübersichtlichen Angebot ein passendes Schneidwerkzeug zu fischen, ist für Laien praktisch unmöglich. Geld oder Gutschein kann der Beschenkte mehr oder weniger heimlich aufstocken und sich einen lang gehegten Messertraum erfüllen. Für alle, die nicht wissen, wohin mit Geld und Gutscheinen oder die sich gerne selbst etwas Scharfes auf den Gabentisch legen, stellt Knife-Blog heute drei Taschenmesser vor. Slip Joint, Flipper und Einhandmesser von GiantMouse, Tuch Knives und eine Collab von Markus Reichart und WE Knife. Jedes dieser Messer überzeugt in seiner Klasse nicht nur mit Qualität, sondern auch mit bemerkenswerten technischen Lösungen.
Inhalt und Übersicht
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Alle drei der „Taschenmesser 2022“ im heutigen Review sind nur in begrenzter Stückzahl verfügbar, zwei davon sind sogar ausgesprochen rare Artikel. Natürlich steht auch etwas ganz Seltenes zur Auswahl, ein Hersteller aus den USA, der in Deutschland noch weitgehend unbekannt ist: Tuch Knives. Nein, „Tuch“ hat nichts mit Tüchern zu tun, es handelt sich um den Nachnamen eines Messermachers aus Portland, Oregon.
Mit Freude schenken: Taschenmesser 2022
Die Preisspanne der Messer in diesem Kurzreview ist gabentischfreundlich und beginnt bei 229,- Euro für die Messer von GiantMouse und WE Knife. Mit 349,- Euro liegt das Messer aus Portland an der Spitze, ist aber ein technisches Kleinod mit einer Öffnungsmechanik, die es in dieser Form noch nie gegeben hat. CRKT hat vor vielen, vielen Jahren einen ähnlich zu bedienenden Öffnungsmechanismus gebaut, der aber keine Federunterstützung besaß und dessen Klingen manuell geöffnet wurden.
Alle drei Taschenmesser 2022 sind von ausgezeichneter Qualität und haben keine Schwachpunkte bei Material- oder Verarbeitungsqualität gezeigt. Besonders loben muss man die Qualität der Anschliffe. Alle drei sind nahezu perfekt.
Leser, die nicht mit den Feinheiten des Deutschen Waffengesetzes vertraut sind, müssen wissen, dass nicht alle Taschenmesser bei jeder Gelegenheit in der Öffentlichkeit geführt werden dürfen. Alle Details sind im Artikel „Taschenmesser – Was ist erlaubt, was ist verboten“ nachzulesen. Dort zeigt sich auch, dass das folgende Messer aufgrund seiner geringen Klingenlänge in Deutschland kein „verbotener Gegenstand“ ist.
PDX von TUCH Knives
Auf den ersten Blick ist der kleine Folder aus der amerikanischen Messerstadt Portland eher unscheinbar. Griffschalen aus Marbled Carbon und ein stylisher Taschenclip aus Titan wecken allerdings sofort die Vermutung, dass hier kein Allerweltsmesser auf dem Tisch liegt.
William Tuch ist schon seit 2005 Messermacher, aber in Deutschland ist der Schüler von Messerlegende Butch Vallotton noch weitgehend unbekannt. TUCH Knives ist ein Einmannbetrieb mit hohem Anteil von Handarbeit und einem überschaubaren Maschinenpark. Neben Kleinserien ist William Tuch vor allem für seine Customs geschätzt, die dem Messermacher trotz gehobenem Preisniveau sprichwörtlich aus den Händen gerissen werden.
Das TUCH PDX ist ein kleines Taschenmesser vom Format eines typischen Gentleman Folders. Die gerade einmal 6,8 Zentimeter lange Klinge besitzt eine Drop-Point-Freeform, ist 3,1 Millimeter stark und aus Böhler M390 gefertigt. Der unterhalb der Gratlinie angesetzte Flachschliff ist so fein ausgeschliffen, dass die Schneidkanten beinahe nicht sichtbar sind. Der Plan geht auf und das kleine Messer überzeugt mit der Schärfe eines Rasiermessers.
Das Bemerkenswerte am TUCH PDX sind die beiden zur Verfügung stehenden Öffnungsvarianten. Wie bei einem klassischen Einhandmesser lässt sich die Klinge mit dem Daumen anheben und in die Verriegelungsposition schieben. Deutlich spektakulärer geht es zu, wenn man die beiden Griffschalen im Bereich der Klingenwurzel zwei oder drei Millimeter vertikal gegeneinander verschiebt, denn plötzlich schließt die Klinge vollautomatisch heraus.
Diese Kombination aus nicht federunterstützter Einhandöffnung und einem Vollautomaten hat sich William Tuch patentieren lassen. Stolz prangt die US-Patentnummer „US 10,953,536 B2“ auf der Vorderseite der Verpackung. Bemerkenswert am TUCH PDX ist, dass die Feder beim Schließen nur vorgespannt wird, wenn die Klinge auch per Federkraft geöffnet wurde. Nach Ein- oder Zweihandöffnung verschwindet die Klinge wie bei jedem anderen Einhandmesser wieder zwischen den Griffschalen.
Das Patent hat sich William Tuch mit viel Schweiß erarbeitet, denn ein Taschenmesser wahlweise manuell oder vollautomatisch zu öffnen, klingt unweigerlich nach Chimäre und Klapperatismus. Doch das PDX ist nichts von beidem, nicht klappert, schlackert oder wackelt. Alle Bauteile sitzen satt und spielfrei, trotzdem ist kein großer Kraftaufwand nötig, um das Messer automatisch zu öffnen. Mechanisch hat William Tuch sein Konzept sehr sauber und funktional umgesetzt.
Technische Daten im Überblick:
- Bauart: Vollautomat, manuelles Einhandmesser
- Klingenverriegelung: Liner Lock
- Klingenlänge: 68 mm
- Klingenstärke / Klingenhöhe: 3,1 mm / 18 mm
- Klingenstahl: M390
- Länge geöffnet: 162 mm
- Grifflänge: 95 mm
- Griffhöhe / Griffstärke: 16 mm / 13,3 mm
- Gewicht: 75 mm
- Verkaufspreis: 349,- €
Die Klinge wird beim TUCH PDX per Linerlock verriegelt. Das Ver- und Entriegeln funktioniert ebenso einfach und präzise wie das Öffnen der Klinge. Auf der Klinge geht der Messermacher dankenswerterweise sparsam mit Lasergravuren um: Rechts befindet sich sein Logo, links die Bezeichnung des verwendeten Stahls. Beide Gravuren sind so klein und filigran, dass sie ohne Lupe kaum zu entschlüsseln sind.
Für knapp 350,- Euro bekommt man ein hervorragend verarbeitetes Messer, das nicht nur Technik-Freaks begeistern wird. Der große Wermutstropfen beim PXD von TUCH KNIVES ist die geringe Verfügbarkeit des Messers in Europa. Zurzeit reißen die amerikanischen Kunden William Tuch sein PXD schneller aus den Händen, als er produzieren kann. Daher wird dieses Messer leider nur auf sehr wenige Gabentische landen.
Knife-Blog meint: Bei der Wahl „Taschenmesser 2022 – Innovation des Jahres“ wäre das PXD von Tuch Knives ein ernsthafter Titelkandidat.
GiantMouse Jutland
Anlässlich des Reviews zum GiantMouse Nimbus hat Knife-Blog das Unternehmen, ihre Protagonisten und die Philosophie der drei Macher ausführlich vorgestellt. Die Firma GiantMouse ist in den letzten Jahren in Europa so populär geworden, dass man nicht mehr viel über das dänisch-amerikanisch-italienische Projekt erzählen muss. Aus Dänemark stammt das Design der Messer, namentlich von Jens Ansø und Jesper Voxnaes. Der amerikanische Geschäftspartner Jim Wirth hat Konzeption, Planung und Marketing in der Hand und hergestellt werden die Messer von einem Vertragspartner im italienischen Maniago.
Der Name „Jutland“ repräsentiert den westlichen Landesteil Dänemarks, der in der Landessprache „Jylland“ und im Deutschen „Jütland“ heißt. Der Name dieser Region geht auf ein germanisches Siedlungsgebiet zurück.
Das GiantMouse Jutland ist mit seiner 86 Millimeter langen Bowie-Klinge das Stattlichste der drei heute vorgestellten Messer. Auch innerhalb des GiantMouse Universums gehört es zu den größten Taschenmessern der Firma. Dabei verstehen es die beiden dänischen Designer, durch geschickte Linienführung bei Swedge und Ricasso der Klingenform Schwung und einen Hauch Leichtigkeit zu verleihen.
Die Messwerte bestätigen die optische Erscheinung – gerade einmal 115 Gramm bringt das GiantMouse Jutland auf die Waage. Für ein Taschenmesser mit einer Gesamtlänge von 204 Millimetern ist dieser Wert bemerkenswert. Auf Kunstgriffe haben Jens Ansø und Jesper Voxnaes dabei verzichtet und das Augenmerk klar auf gute Stabilität gelegt. Die Liner aus Edelstahl sind ebenso massiv wie der lange Taschenclip. Auch die Griffschalen aus Micarta sind mit vier Millimetern Stärke gut dimensioniert.
Wie bereits bei vielen anderen Taschenmessern von GiantMouse ist die Wahl mit Elmax wieder auf einen pulvermetallurgischen Stahl gefallen. Elmax besitzt gute Verschleißfestigkeit und lässt sich bis auf 60 HRC härten, doch bei Verwendung als Messerklinge sind Werte zwischen 57 und 59 HRC üblich, damit der Stahl nicht zu spröde wird. Zur Härte der Klinge macht GiantMouse allerdings keine Angaben.
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Das Besondere an Elmax ist sein mit 18 Prozent überdurchschnittlich hoher Chromanteil, was den Stahl gut polierbar macht und bei satinierten oder gebürsteten Oberflächen für eine schöne Optik sorgt. Diese Eigenschaft des Stahls wird beim Jutland von GiantMouse sichtbar.
Das Jutland ist als Flipper konzipiert, lässt sich aber auch als Einhandmesser öffnen. Dabei findet der Daumen am oberen Rand der ovalen Klingenbohrung einen bequemen Ankerpunkt. Sowohl das Flippen wie auch das Anheben der Klinge mit dem Daumen gelingt mit spielerischer Leichtigkeit. Dank ausgefeilter Kraftwinkel und hervorragendem Klingengang öffnet sich die Klinge des Jutland bereits durch Fingerdruck auf den Kicker.
Dabei öffnet sich die Klinge so dynamisch, als habe man den Kicker kraftvoll nach hinten gezogen und schont die Fingerkuppen. Die Flipper-Action des Jutland gehört zum Besten, was man bei Taschenmessern dieser Größe finden kann.
Technische Daten im Überblick:
- Bauart: Einhandmesser mit Flipper-Öffnung
- Klingenverriegelung: Liner Lock
- Klingenlänge: 86 mm
- Klingenstärke: 3,5 mm
- Klingenhöhe: 23 mm
- Klingenstahl: Elmax
- Härte: k. A.
- Länge geöffnet: 207 mm
- Grifflänge: 12,2 mm
- Griffhöhe / Griffstärke: 22,7 mm / 13,5 mm
- Gewicht: 115 g
- Verkaufspreis: 229,- €
Im Alltagseinsatz hat die Bowie-Klinge des GiantMouse Jutland einen guten Eindruck hinterlassen. Verlauf und Radius der Schneide entsprechen einer klassischen Drop Point Klinge und so zeigt sich das Messer bei Schneidearbeiten ebenso effektiv wie gutmütig in der Handhabung.
Die Kombination aus Micarta, Elmax, dänischem Design und exzellenten Flipper-Eigenschaften ist ein reeller Gegenwert zu den Anschaffungskosten von 229,- Euro.
Knife-Blog meint: Bei der Wahl zum Taschenmesser 2022 strebt das GiantMouse Jutland in der Klasse „Flipper“ zielstrebig in Richtung Podest.
WE Knife WE925A – Markus Reichart Design
Nach Vollautomat und Flipper ist nun die Zeit reif für ein Slip Joint, also ein Taschenmesser, das die geöffnete Klinge nicht verriegelt, sondern sie nur durch Federkraft in Position hält. Damit darf dieses Messer in Deutschland in der Öffentlichkeit geführt werden. Zudem ist das Messer aus der Feder von Markus Reichart ein lupenreines Zweihandmesser. Selbst mit geübten Händen lässt sich die Klingen nicht einhändig anheben.
Bei der Slip Joint Mechanik hat Markus Reichart eine Herausforderung bewältigt, an der sich schon viele Messerdesigner versucht haben und an der beinahe ebenso viele gescheitert sind. Die Rede ist von der Kraft, mit der die Klinge in der geöffneten Position gehalten wird.
Normalerweise sind die Kräfte zum Öffnen und zum Schließen der Klinge bei einem Slip Joint nahezu identisch, werden doch in beiden Fällen die Haltekräfte von ein und derselben Feder bestimmt. Gewünscht ist jedoch, dass sich die Klinge mit deutlich leichter Öffnen als Schließen lässt. Diesen technischen Spagat hat Markus Reichart hervorragend bewältigt und WE Knife hat seinen Entwurf technisch perfekt umgesetzt. Bei keinem anderen bisher auf Knife-Blog getesteten Slip Joint war der Unterschied zwischen den Kräften zum Öffnen und Schließen der Klinge dermaßen groß. Bei einem Öffnungswinkel von 90° Grad gleitet die Klinge in einen „Half-Stop„, also eine Zwischenraste.
Befindet sich die Klinge des WE Knife 925a in der geöffneten Position, könnte man meinen, ein Taschenmesser mit Klingenverriegelung in der Hand zu halten. Trotzdem bereit das Öffnen keine Schwierigkeiten und geht angenehm leicht von der Hand. Mr. Spock würde sagen: „Faszinierend!“
Die Klinge des WE Knife 925a wird aus dem pulvermetallurgischen Stahl CPM-20V des US-Herstellers Crucible Steel gefertigt. CPM-20V ist die amerikanische Variante des geschätzten M390 mit weitgehend identischem Legierungskonzept und vergleichbaren Leistungsdaten. Beim Klingenfinish haben sich Markus Reichart und WE Knife für eine seidenmatte Oberfläche entschieden, die durch Strahlen mit Glasperlen erzeugt wird. Das Klingenfinish wirkt wertig und harmoniert prächtig mit der Optik des Messergriffs.
Technische Daten im Überblick:
- Bauart: Zweihandmesser
- Klingenverriegelung: ohne
- Klingenlänge: 88 mm
- Klingenstärke: 3,0 mm
- Klingenhöhe: 25 mm
- Klingenstahl: CPM-20V
- Härte: k. A.
- Länge geöffnet: 206 mm
- Grifflänge: 118 mm
- Griffhöhe / Griffstärke: 25 mm / 12 mm
- Gewicht: 92 g
- Verkaufspreis: 229,- €
Die Griffschalen des WE Knife 925a sind aus Marbled Carbon gefertigt, dessen Muster allerdings nicht so stark hervortritt wie beim PXD von Tuch Knives. Unter den Griffschalen sorgt ein Metallrahmen für Stabilität. Die ist auch notwendig, denn mit einer Klingenlänge von gut 87 Millimetern gehört der Folder von Markus Reichart bereits zu den großen Taschenmessern. Das hohe Klingenblatt und die schnörkellose Kontur der Klinge lässt die Klinge zudem größer erscheinen, als sie tatsächlich ist.
Die Ergonomie des Messers ist spannend. Während gute ergonomische Eigenschaften häufig mit bauchigen Griffschalen in Verbindung gebracht werden, zeigt Markus Reichart, das es auch anders geht. Die Carbon-Griffschalen des WE Knife 925a sind absolut plan und besitzen eine glatte Oberfläche. Erstaunlich ist, wie gut sich dieser Griff in die Hand schmiegt und dass das Taschenmesser bei allen Arbeiten sicher und bequem gehalten werden kann. Auch die Neigung zum Verrutschen in der Hand ist erstaunlich gering.
Knife-Blog meint: Um bei der Wahl zum Taschenmesser 2022 zu bleiben, das WE Knife 925a ist ein ernsthafter Bewerber für den Titel „Slip Joint des Jahres“.
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Links
- GiantMouse Jutland: Altoner Silberwerkstatt
- Tuch Knives PXD: WritingTurningFlipping (auf Anfrage)
- Markus Reichart – WE Knife 0925a: Messer & Co