Ein lupenreines Custom, ein von einem Messermacher in Handarbeit hergestelltes Einzelstück für ein Review in die Hände zu bekommen, gehört zu den schönsten und spannendsten Momenten der Arbeit bei Knife-Blog. Als sich die Chance bietet, eines der raren und in Deutschland noch relativ unbekannten Customs von TuffKnives für ein Review zu ergattern, greife ich begeistert zu. Die Begutachtung des rund 1.500 Dollar teuren Einzelstücks sowie die üblichen Recherchen zum Hintergrund von Messer und Macher, führen zu erstaunlichen Ergebnissen.
Inhalt und Übersicht
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„TuffKnives – Custom knifemaker“ steht auf der dem Messer beiliegen Visitenkarte. Hinter diesem Namen erwartet man den US-amerikanischen YouTuber Geoff Blauvelt und mit etwas Fantasie könnte die Unterschrift auf der Visitenkarte tatsächlich „Geoff“ heißen.
Geoff wurde als Modder bekannt, also ein Autodidakt, der Serienmesser modifizierte (daher Modder) indem er sie mit neuen Griffschalen oder aufwendigen Verzierungen versah. Nach den ersten Erfolgen stieg Geoff in das wesentlich lukrativere Geschäft der Custom-Herstellung ein.
Inzwischen nimmt er keine Aufträge zum modden mehr an. Auf YouTube und Instagram ist er unter dem Pseudonym „TuffThumbz“ unterwegs und seine Kanäle sind ausgesprochen populär. Die Fotos und Videos seiner Messer machen neugierig.
TuffKnives „Slimfoot Oddity“
Eben diese Neugier hat mir das vorliegende Messer beschert. Die Linienführung gefällt mir. Es ist ungewöhnlich und ja, das Ding hat Style. Die Timascus Platte ist richtig fett, das Muster tritt kontrastreich hervor und die Politur ist ausgesprochen gut. Die Gestaltung des Timascus Clips passt hervorragend zur Form des Griffs.
Die beiliegende Visitenkarte erwähnt allerdings ein Timascus Bolster. Nach meinem Verständnis ist ein Bolster eine Verstärkung an der der Klinge zugewandten Seite des Griffs. So erklärt es auch Altmeister Jay Fisher in seiner ausführlichen Abhandlung über „Knife Handles, Bolsters, Guards and Fittings“ (↑).
In der Flugzeugtechnik kann „Bolster“ zwar in manchen Fällen auch mit dem Begriff „Endplatte“ übersetzt werden, trotzdem ist der Gebrauch des Begriffs für eine Griffschale so ungewöhnlich, dass ich mich frage, ob Karte und Messer zusammengehören.
Ein Blick auf Geoffs Instagram Profil schafft Klarheit: Vor einigen Monaten wurde das Messer dort unter dem Namen „Slimfoot Oddity“ präsentiert.
Das Messer ist also authentisch.
Das Design des mittelgroßen Folders mit Sheepsfoot Blade hebt sich deutlich aus der Masse heraus, die Linienführung des geöffneten Messers punktet mit Harmonie und Eleganz. Der gerade verlaufende Klingenrücken besitzt eine über die ganze Länge laufende Swedge. Eine dreieckige, längliche Aussparung darunter reflektiert die Form des Griffs.
Unterhalb setzt eine Gratlinie an, wodurch sich eine lang gestreckte Facette ergibt. Bei der Symmetrie zwischen linker und rechter Klingenseite hapert es. Rechts ist die obere Linie der Facette eine Gerade, links ein Bogen. Auch bei der Geometrie gibt es Unterschiede: Die Gratlinie liegt auf der rechten Seite gut einen Millimeter höher als auf der linken Seite.
Der Klingenschliff ist weder seitensymmetrisch noch winkelstabil, wobei die Abweichungen aber gerade noch im tolerierbaren Rahmen liegen. Dafür besitzt die Klinge EDC-taugliche Schärfe [9/10]. Beim Klingenstahl hat sich TuffKnives für Nitro-B der Buderus Edelstahl GmbH entschieden, der sich bis auf 62 HRC härten lässt. Gute Wahl! Der Stahl nimmt das grobkörnige Stonewash Finish gut an, was der Klinge eine reizvolle, etwas dunkle „Vintage“ Optik” verleiht.
Kein Spalt, kein Grat und keine überstehenden Kanten zwischen Timascus und Titan. Auch am Clip gibt es nichts zu meckern.
Die Stifte zur Befestigung der Timascus Griffschale sind dagegen deutlich erkennbar und nur mit mäßiger Sorgfalt eingepasst.
Der Blick wandert zum Langloch in der Klinge. Gerade Linien sucht man hier vergeblich, die Linienführung an der Innenseite des Langlochs scheint der Skyline von Harrisburg oder dem Verlauf des Delaware Rivers nachempfunden zu sein. Das muntere Auf und Ab ist mit Bearbeitungsspuren übersät, an einer Stelle kann man sogar noch den Durchmesser eines Bohrers erkennen.
Die flapsige Klingensymmetrie habe ich noch wohlwollend der überschäumenden Kreativität eines jungen YouTube Stars zugerechnet, doch bei der Klingenbohrung gehen mir erst die Entschuldigungen und dann die Worte aus. Was man sieht, passt nicht zusammen. An der Klinge haufenweise handwerkliche Mängel und eine offenbar recht unverbindliche Einstellung zum Produkt, dafür ein ordentlicher Job beim Timascus. Ich meine zwei unterschiedliche Handschriften zu erkennen.
Die Ausführung des Langlochs in der Klinge ist eines Messers dieser Preiskategorie unwürdig.
Selbst der Begriff „schlampig“ ist noch zu positiv für diese Arbeit.
Die Handlage des Messers ist ausgesprochen gut. Zeige- Mittel- und Ringfinger finden an der Griffunterseite Platz, der kleine Finger liegt an der rückwärtigen Schräge und der Griff ist bequem und sicher in der Faust verkeilt. Das Öffnen der nicht ganz sauber zentrierten Klinge geht problemlos, ebenso das Entriegeln der Lock Bar.
Jedes Messer muss im Rahmen eines Knife-Blog Reviews mehrere Sicherheitsüberprüfungen absolvieren, dazu gehören Stabilität, Bedienungssicherheit, Klingenspiel und vor allem die Zuverlässigkeit der Verriegelung. Normalerweise erwähne ich die Sicherheitsprüfung nicht, denn die Qualität von Konstruktion und Verarbeitung liegt mittlerweile auf so hohem Niveau, dass nicht betriebssichere Messer selbst in der Budget-Klasse eine Seltenheit sind.
Sicherheitprüfung
Der Folder von TuffKnives sorgt für eine Überraschung. Das Lock verriegelt die Klinge zwar mit einem deutlichen „Klack“ und die Lock Bar überdeckt fast ein Drittel der Klingenwurzel, aber bereits wenig Druck auf den Klingenrücken genügt, um die Verriegelung zu überwinden und die Klinge einklappen zu lassen.
Die schöne Linie des Messers, die kreative Idee dahinter und das bunte Timascus verlieren schlagartig ihren Glanz. Bei diesem Custom sind die Finger seines Besitzers schon bei leichten Alltagsaufgaben in Gefahr. Eine einfache Justage kann das Problem nicht lösen, denn die Lock Bar besitzt keinen Stahleinsatz, der sich ein wenig anpassen oder neu justieren ließe. Damit wird das Slimfoot Oddity zu einem Fall für die Garantieabteilung von TuffKnives. Doch als ich mich auf die Website des Herstellers begebe, fängt das Staunen erst richtig an…
Video: Lock Fail des TuffKnives Custom
Kein Impressum auf der Homepage, keine Adresse für Reparaturen oder Reklamationen, kein eingetragener Firmenname, stattdessen versteckte und lückenhafte Hinweise auf die agierenden Personen. Die größte Überraschung für Messerkäufer findet sich bei den Zahlungsbedingungen: Zahlungen sind an das PayPal-Konto von Ehefrau Joann zu senden. Schaut man ein wenig hinter die glitzernde Social-Media-Fassade, sitzt man im Nu in einer Badewanne voller Merkwürdigkeiten.
Kontakt und Service bei TuffKnives
Zum Thema Service, normalerweise ein Bereich, den Messermacher und kleine Hersteller besonders ernst nehmen, findet sich bei TuffKnives kaum ein Wort. Eine dürre Erklärung mit wenigen, orthografisch wie stilistisch eigenwilligen Sätzen beschränkt sich im Wesentlichen auf Haftungsausschlüsse bei Transportverlusten. Aber schließlich findet sich auch einen Satz zu Service und Garantiebedingungen: “Aus Höflichkeit werde ich Defekte reparieren …“, („I will fix or replace any defects … as a courtesy.”)
Keine Adresse für Rücksendungen aber immerhin eine Art Garantieversprechen und auf der Homepage sogar eine Telefonnummer mit dem wörtlichen Hinweis: „Phone please call Between 9am and 8pm”. Ok, zwischen neun in der Früh und acht Uhr abends. Verständlich, wer will schon gern von interessierten Messerkäufern oder nörgelnden Krauts außerhalb der Geschäftszeiten gestört werden? Bei Griff zum Hörer bleibt der Arm in der Luft hängen: In welcher der sechs Zeitzonen der USA mögen sich die Menschen befinden, die ich mit meinem Klingeln aus dem Bett werfen könnte?
Die Frage lässt mit etwas Tastaturarbeit beantworten und die Telefonnummer von der Website führt zu Präsident Mohammed aus Pennsylvania:
Tuff Designs, LLC
1012 Gravel Pike
Schwenksville, PA 19473
Contact: Mohammed Aliomer
Title: President
Phone: (215) 317-1895
Das gute, alte Telefon ziehe ich Skype vor und versuche nach sorgfältiger Zeitumrechnung, das Messer zur Garantieleistung anzumelden und dabei vor allem die anschließende Rücksendung in die Alte Welt zu klären. Dreimal. Fünfmal. Fünfundzwanzigmal. Der Präsident scheint verreist zu sein.
Hinter TuffKnives steht also mit Tuff Designs, LLC tatsächlich eine eingetragene Firma. Zumindest teilt man sich einen Telefonanschluss. Die Rollenverteilung zwischen Mohammed Aliomer und Geoff Blauvelt ist nicht erkennbar. Wer von beiden verbirgt sich hinter dem Social-Media-Pseudonym „TuffThumbz“ oder sind beide Namen nur zwei Gesichter ein und dergleichen Person? Handelt es sich um zwei Freunde, die zusammen ein einträgliches Business gestartet haben? Die Website liefert keinen Aufschluss.
Ich erwäge das Messer mit Bitte um Reparatur an die angegebene Adresse zu senden, schaue vorher noch eben bei Google Street View rein und verwerfe den Gedanken.
Der Name „TuffKnives“ suggeriert, hinter dem Namen könnte eine Firma wie Microtech Knives, Buck Knives oder Strider Knives stehen, doch hinter dem vorgeblichen Firmennamen steckt nur eine nicht eingetragene Handelsmarke von Tuff Designs LLC.
Ob sich mehr als eine Person hinter Tuff Knives verbirgt, bleibt ebenso im Nebel wie die Frage, wo die Messer wirklich herkommen und wer die Messer fertigt.
Ein Messerhersteller mit vierstelligen Preisen, drei Firmennamen, zwei Hauptdarstellern und einem Präsidenten mit „Geheimadresse“, dafür aber ohne Bankverbindung und ohne eigenes PayPal-Konto. Ich suche Erklärungen und tatsächlich fallen mir welche ein. Keine davon ist wirklich gut. Dass sich „TuffThumbz“ ganz brauchbar mit „schlimmer Finger“ übersetzen lässt, ist auch keine Hilfe.
Zurück zum Messer. Form und Style des Messers gefallen mir richtig gut.
Mit dem unsauber gearbeiteten Langloch in der Klinge könnte ich leben – bei einem Arbeitsmesser aus der 50 Dollar Kategorie. Insgesamt ist die Verarbeitungsqualität dieses „Customs“ eine Frechheit und steht klar im Widerspruch zum Qualitätsanspruch echter Messermacher.
Um es klar auf den Punkt zu bringen: Die Handwerksqualität von TuffThumbz wäre schon bei einem Serienmesser für 30 Dollar eine Zumutung!
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Das Custom von TuffKnives oder wem-auch-immer gäbe trotzdem ein brauchbares EDC ab, wenn da nicht die Sache mit dem nicht funktionierenden Lock wäre. Die Zuverlässigkeit der Verriegelung ist bei einem Titan-Framelock Folder das entscheidende Kriterium für die Gebrauchsfähigkeit des Messers. Im Auslieferungszustand ist diese Zuverlässigkeit nicht gegeben und daher kann es bei der Wertung keinen Kompromiss und auch kein zugedrücktes Auge geben: Das weit über eintausend Dollar teure Custom von TuffKnives ist nicht EDC tauglich.
TuffKnives Custom – Fazit und Bewertung
Eine fehlerhaft eingestellte Verriegelung gefährdet die Gesundheit des Messerbesitzers und ist kein Kavaliersdelikt. Zumal die Funktion der Klingenverriegelung bei der Endkontrolle leicht zu prüfen ist.
Tatsächlich ist es erst das zweite Mal, dass während des Praxistests bei Knife-Blog eine Klingenverriegelung versagt. Auch das Button Lock des CRKT Tighe Rade brachte die Hände seiner Besitzer ernsthaft in Gefahr. Dafür musste das Messer seinerzeit eine massive Abwertung hinnehmen und die Tatsache, dass es nur einen Bruchteil des TuffThumbz-Customs kostete, ändert daran nichts. Dem Messer von TuffKnives ergeht es nicht anders: Es gehört zum Bereich „Messermurks“.
Wie immer klare Worte: Als ich die handwerklichen Mängel und das nicht funktionierende Lock festgestellt hatte, war ich sicher, eine plumpe Fälschung minderer Qualität in Händen zu halten. Erst die Vorstellung des Messers auf den sozialen Medien hat gezeigt, dass das Messer tatsächlich von TuffKnives stammt, denn eine 1:1 Kopie des Timascus-Musters dürfte auch dem besten Fälscher nicht gelingen.
Kein Stahleinsatz zum Schutz der Lock Bar, kein Überdehnschutz. Beides gehört heute selbst bei Serienmessern unter 300 Euro zur Standardausrüstung. Den Preis des technisch simplen Social-Media-Customs muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Bis es bei einem Messerfan in Europa auf dem Tisch liegt, kostet es mit Einfuhrumsatzsteuer, Zoll und Logistikgebühren deutlich über 2.000 Euro. Selbst wenn das Messer handwerklich perfekt und die Klingenverriegelung zuverlässig wäre, müsste man das Preis-Leistungs-Verhältnis irgendwo zwischen hochproblematisch und völlig überzogen einstufen.
Wenn ich die Qualität des Slimfoot Oddity zugrunde lege, scheint der Hype um das geschickte Marketing des YouTube-Stars massiv überhitzt zu sein. Der insgesamt unseriös wirkende Auftritt des kleinen Konglomerats aus Firmen, Handelsmarken, Pseudonymen und Personen macht auch abseits der handwerklichen Qualität wenig Lust, über „Two Grand“ für ein Messer vom Kiesweg in Schwenksville zu investieren.
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Links und Bewertung
- Technik: Jay Fishers Knife Dictionary
- Risiko für die Finger: CRKT Tighe Rade
- Tuffthumbz: Instagram
- Pro & Contra: Wie Knife-Blog wertet