The True North Project

The True North Project – Handwerk pur

Der Titel gibt die Richtung vor und es geht nicht nur nach Norden, es geht vor allem in Richtung Handwerk und Qualität. Natürlich geht es um ein Messer und gleichzeitig noch um viel mehr als nur Messer. Es geht um ein Projekt, bei dem viele unterschiedliche Gewerke ihre Fähigkeiten vereint haben, um etwas ganz Besonderes zu schaffen. Ein Set aus Messer, Füllfederhalter und allem Zubehör von der Lederscheide bis zu Tinte und Bead. Die Liste der Mitwirkenden hat einen Touch von Hollywood und liest sich fast wie die Starbesetzung eines Messer-Movies…

Fragt man Wikipedia, steht „True North“ für die Richtung entlang der Meridiane zum geografischen Nordpol. Doch in der amerikanischen Umgangssprache hat „True North“ noch eine weitere, tiefsinnigere Bedeutung. Wenn man etwas mit ganzen Herzen macht, wenn man keine Mühe scheut, sich keine Kompromisse aufschwatzen lässt und das bestmögliche Ergebnis anstrebt, dann ist das „True North“. Dabei fungiert die Kompassnadel als Richtungsgeber und will sagen: “Lass dich nicht vom Weg abbringen”.

“Let’s do it true north” ist die klare Ansage, den geraden Weg zu gehen. Einen Weg ohne Zugeständnisse an Zeit, Aufwand, Kosten oder Mühen. Ein Messer mit Lederscheide, ein Füllfederhalter, dazu ein Bead für das Messer und eine ganz spezielle Tinte für den Füller. Auch eine Flasche Kamelienöl zur Pflege fehlt nicht. Alles wird in einer Schatulle aufbewahrt, für die der Name „Box“ eine geradezu schamlose Untertreibung darstellen würde.

Ein Set aus Messer und Füllfederhalter „True North“ zu realisieren, gibt eine klare Linie vor. Es soll nicht irgendein Set werden, es darf nichts Beliebiges dabei herauskommen und das Beste ist gerade gut genug. Diese Vorgabe hat sich Sascha Stoelp mit auf den Weg gegeben, als die ersten Hirngespinste um ein „True North“ Set zu ernsthaften Gedanken mutierten, um schließlich konkrete Gestalt anzunehmen.

Einige Monate früher. Bei einem Grillabend erwähnt Sascha bei Steak und Flaschenbier fast beiläufig seine Vision eines Ensembles aus Messer, Stift und allem Zubehör in einem Set. Der Begriff “True North” liegt noch in weiter Ferne und ich habe eine Plastikschachtel mit Serienmesser und Kugelschreiber vor Augen. Verstohlen zähle ich die leeren Bierflaschen…

Einige Monate später stockt mir der Atem, als ich die Rohlinge der Messer, die Füllfederhalter und das Schild aus Kupfer für die Holzschatullen sehe.

True North

Das Projekt wäre nicht wirklich „True North“, wenn Messer, Füller, Lederscheide und das Zubehör irgendwo verfügbar gewesen und nur zu einem Set zusammengewürfelt worden wären. Stattdessen wurde vom Kupferschild, das vorn auf der Schatulle prangt, bis zum Füllfederhalter jedes Teil von einem Spezialisten in Handarbeit speziell für dieses Projekt geschaffen.

Natürlich ist die Auflage limitiert. Serienfertigung ist kein Thema und wäre es auch nicht, wenn genügend Material zur Verfügung stünde. Es gibt fünf Sets. Nicht mehr, nicht weniger und garantiert keine Nachproduktion. Die Sets sind durchnummeriert, wobei Füllfederhalter, Messer, Bead, Box und selbst die Lederscheide matching numbers tragen.

True North - Messer mit Scheide und Füller mit Tinte,

Fangen wir mit dem Messer an. Ein Fixed Blade mit 89 Millimeter langer und 2,5 Millimeter starker Klinge, hergestellt von Messermacher Andreas Rühl. Andreas hat einen Ingenieursabschluss in Werkstofftechnik und ist Messermacher aus Leidenschaft. Der Franke gehört zur jungen Garde in Deutschland und hat mit seinen Kreationen vom Fleck weg eine Fangemeinde gefunden. Das Design des True North Messers haben Andreas und Sascha gemeinsam entwickelt und wochenlang Entwürfe hin-und-her gemailt. Die finale Version haben beide schließlich in Andreas’ Werkstatt erarbeitet.

Beim Messerstahl erwarte ich irgendetwas total Abgefahrenes. Cowry-X vielleicht oder einen anderen außerirdischen Kobaltstahl und werde überrascht: Andreas hat die Klingen aus Böhler N690 gefertigt. Ich bin skeptisch, obwohl ich einige wirklich gute Messer mit diesem Klingenstahl besitze. Aber jeder Messerfan kennt italienische Messer aus N690, deren Klingen kaum schnitthaltiger sind als das Messerset aus dem Ein-Euro-Markt. Oder N690 Klingen, die nahe der Schneidfase eine Härte von 53 HRC aufweisen. Wieder Italien, aber dort sind wir gerade nicht.

Natürlich frage ich nach und Andres Rühl gibt bereitwillig Butter bei die Fische. “Böhler N690 ist ein wirklich guter Stahl” , sagt er, “wenn die Wärmebehandlung perfekt durchgeführt wurde. Und da liegt in vielen Fällen das Problem. Schon bei einer kleinen Unachtsamkeit kann eine Klinge in niedrige Härtebereiche abfallen und ihre Schnitthaltigkeit einbüßen.”

Andreas Rühl bei der Arbeit am True North Messer

Andreas Rühl beim Schleifen eines True North Messers in seiner Werkstatt.

Die Aufgabe hat es in sich: Fünf handgefertigte Klingen, die sich optisch nicht voneinander unterscheiden lassen und technisch nur um ein My abweichen dürfen.

Und du hast die Wärmebehandlung hinbekommen?” , bohre ich mit dezenter Skepsis nach. Andreas lacht. “Ich nicht” , sagt er, “die Wärmebehandlung haben wir Stefan Steigerwald anvertraut. Er kennt diesen Stahl seit Jahren und ist ein Fuchs, was die Wärmebehandlung von N690 angeht.”

Andreas setzt noch einen drauf: “Tatsächlich ist die Wärmebehandlung viel wichtiger als die Legierung. Ein seltener pulvermetallurgischer Stahl macht sich gut als Lasergravur, aber wenn die Wärmebehandlung nicht perfekt war, bleiben die Eigenschaften der Klinge trotzdem unterdurchschnittlich. Bei N690 von Stefan Steigerwald kann ich mich darauf verlassen, dass die Klinge auf 60 HRC gehärtet ist.”

Messergriff: Wüsteneisenholz

Ein Messer True North zu denken bedeutet, es muss kompromisslos funktionell sein. Das Augenmerk liegt auf den Qualitäten von Material und Handwerk und vor allem auf der Praxistauglichkeit im Alltag. Für Zierrat und nutzloses Dekor ist in dieser Philosophie kein Platz. Die Stärke des True North Messers liegt in seiner Beschränkung auf das Wesentliche: ein Flacherl, eine Klinge mit Flachschliff über das gesamte Blatt, keine nervige Schleifkerbe und zwei Griffschalen aus Wüsteneisenholz.

Wüsteneisenholz ist ein Problem. Messermacher können ein Lied davon singen. Die guten Qualitäten sind entweder längst der Natur entnommen oder streng geschützt. Was in den letzten Jahren auf den Markt kam, ist für Probleme bekannt, wobei kontrastschwache Maserungen fast noch das kleinste Manko sind.

Das True North Fixed Blade mit Griff aus Wüsteneisenholz

Wüsteneisenholz in Standardqualität bricht gerne oder reißt bei der Bearbeitung wie ein Papiertaschentuch. Die rissigen Oberflächen bei vielen Messern mit Griffen aus Wüsteneisenholz legen darüber ebenso beredtes Zeugnis ab wie gelegentliche Klebe- oder Kittstellen.

Also muss altes Holz her. In makelloser Topqualität, die inzwischen selten und kaum zu bekommen ist. An diesem Punkt kommt Novawood ins Spiel. Die Firma aus dem rheinland-pfälzischen Bubenheim (Landkreis Mainz-Bingen) ist auf Edelhölzer und Holzveredelung spezialisiert und beliefert italienische Jagdgewehr Edelschmieden ebenso wie Autohersteller und internationale Nobelmarken.

Die Firmeninhaber kramen im Tresor und tatsächlich findet sich ein fehlerfreies Stück jahrelang abgelagertes Wüsteneisenholz. “A+” heißt diese Qualität unter Fachleuten und das gefundene Stück reicht soeben für die geplanten fünf Messer, Stifte und Beads. Schiefgehen darf bei der Bearbeitung allerdings nichts…

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Clip Sheath – Custom Lederscheide

Gute Handwerker für Lederarbeiten gibt es mehr, als man aufzählen kann. In dieser Branche wird Tag für Tag Hervorragendes geleistet und entsprechend schwer war die Aufgabe, den einen Künstler zu finden, dessen Können und Persönlichkeit eine Lederscheide ermöglicht, die sich perfekt in das True North Projekt einfügt.

Die Wahl fiel auf Daniel Pokladek. Obwohl Daniel aus einer Handwerkerfamilie stammt, kam er erst spät zum Handwerk und verbrachte gute Jahre als Punkrock Musiker, später war er bei einem Radiosender tätig. Durch die Herstellung einer Lederscheide für ein selbst gebautes Messer entdeckte er seine Leidenschaft für die Arbeit mit Leder. Seit 2017 bietet er seine Scheiden, Pouches und Wallets über seinen Onlineshop “DP Steel and Leather” an (s. Links).

True North Lederscheide von Daniel Pokladek

Ein Merkmal von Lederscheiden von Daniel Pokladek ist ein Federstahl zur Befestigung am Gürtel oder in der Hosentasche.

Der Clip funktioniert wie bei einem Taschenmesser und hält die Scheide sicher an ihrem Platz.

Die Seriennummer ist auf den Clip gelasert.

Eine Kupferniete stabilisiert den Federstahl des Taschenclips. Daniel hat für das True North Projekt eine Steckscheide aus vegetabil gegerbtem Rindsleder entwickelt, die von Hand im Sattlerstich vernäht ist. In die Passgenauigkeit der Scheide hat Daniel viel Zeit investiert und die Rohlinge in mehreren Stufen durch Wässern und Trocknen den Messern angepasst. Eine Wachsschicht schützt das Leder und lässt es strahlen wie das berühmte Honigkuchenpferd.

Von Papageien, Goldfedern und Rosentinte

Neben dem Messer ist der Füllfederhalter das zweite “Major Component” in der True North Schatulle. Das mit den Papageien muss man erklären. Sascha hat irgendwann seine Karriere als Wirtschaftsingenieur an den Nagel gehängt und dem Managerdasein samt Vielfliegerprogramm und Großstadttrubel ein für alle Mal adieu gesagt. Seitdem lebt er mit Lebensgefährtin Jenni und fünf Papageien in einer alten Synagoge. Mitten in der pfälzischen Einöde, nur wenige Schritte vom Rand der Scheibe entfernt. Zwinkersmiley.

Sascha hat seit jeher ein Faible für edle Schreibgeräte und bezeichnet sich selbst als Perfektionist. Weil es für ihn keinen perfekten Füllfederhalter gab, baute er sich selbst einen. So fing alles an. Heute ist Sascha Stoelp längst im Profilager angekommen, entwickelt Füller- und Kugelschreibermodelle und stellt sie anschließend in seiner Werkstatt her. Der Name Parrot Pen (“Papageien Stifte”) war dabei fast zwangläufig, denn die (Spaß-) Vögel sind Teil von Haushalt und Werkstatt. Fehlt ein Bead? Frag die Papageien…

True North: Notarius Füllferhalter mit Wüsteneisenholz

Der Füllfederhalter in der True North Box trägt den Namen “Notarius” (lat. der Schreiber). Das Grundmodell des Notarius hat Sascha schon vor einigen Jahren entwickelt und für das True North Projekt eine Sonderedition aus Edelstahl kreiert. Kappe und Körper der Füller sind aus dem gleichen Stück Wüsteneisenholz gefertigt wie die Griffschalen und Beads der Messer. Fast unnötig zu erwähnen, dass die Optik des Holzes von Stift und Messer bei jedem Set abgestimmt ist. Perfektionist eben.

Die Goldfedern haben natürlich nicht die Papageien, sondern die Füller. Genauer gesagt eine Feder des deutschen Herstellers Bock, Modell Bock Triple Typ 250 in Strichbreite “M”. Die Federn sind rot vergoldet und gehören zum Besten, was man seinem Füller spendieren kann. True North!

Keine Frage, eine Tinte in Grundschulblau an der Goldfeder des Notarius wäre ein Stilbruch. Nein, mehr als das. Ein Sakrileg! Notarius’ Treibstoff heißt Rosentinte. Kein Scherz, die schreibt nicht nur richtig gut, sie gibt auch ein kontrastreiches Schriftbild. Und duftet nach Rosen! Auch wenn sie getrocknet ist.

Hergestellt wird die Tinte in einer kleinen Manufaktur. Der Macher verbirgt sich hinter dem Pseudonym “DeAtramentis”. Wieder ein Perfektionist, diesmal in Sachen Tinte. Bei ihm werden nicht einfach Grundbestandteile mit Duftstoffen versetzt, die Tinten von “DeAtramentis” haben lange Entwicklungsprozesse hinter sich und besitzen sehr individuelle Rezepturen. Ein “Tinten-Besessener” mit Rübezahl-Optik im allerbesten Sinne…

“I love Copper and Brass”

Vorn auf der Holzschatulle prangt das True North Logo samt Seriennummer auf einer massiven Kupferplatte. Für Gestaltung und Herstellung zeichnete der Niederländer Ronald Luttikhuizen verantwortlich und damit sind wir beim tragischen Teil des True North Projekts.

True North Project - Kupferschild von Ronald Luttikhuizen

Nur wenige Tage, nachdem er die Kupferplatten fertiggestellt hatte, verstarb Ronald Luttikhuizen Mitte August 2020 plötzlich und unerwartet.

Ronald hatte bis zu seinem letzten Tag voller Begeisterung am True North Projekt mitgearbeitet. In seinem letzten Post auf Instagram präsentierte er voller Stolz eine der soeben fertig gewordenen Kupferplatten.

“I just love brass and copper” war das Motto von Ronalds Social Media Auftritt und er war begierig darauf, eines der fertigen True North Sets in Händen zu halten. Es war ihm leider nicht mehr vergönnt.

True North – Kupfer, Stahl und die Farbe Rot

Drei Farben und drei Materialien ziehen sich wie der berühmte rote Faden durch das True North Projekt. N690 und Edelstahl bei Messer und Füller. Rote G-10 Liner setzen einen Akzent als Liner unter den Griffschalen und trennen beim Stift das Edelstahl vom Körper aus Wüsteneisenholz. Rötlich schimmert das Kupfer an Schild, Lederscheide und Bead. Rot könnte auch die Zahl ganz unten auf dem Kontoauszug werden, wenn man sich ein True North Set gegönnt hat.

Wenn dieser Artikel erscheint, steht für die Sets des True North Projekts noch kein Verkaufspreis fest. Die fünf Schatullen stehen unmittelbar vor ihrer Fertigstellung. Nur eines kann ich durchsickern lassen: Vierstellig wird der Preis nicht.

Knapp vierstellige Beträge klingen immer irgendwie nach “teuer”, aber die fünf True North Sets sind gemessen am Gebotenen eher Schnäppchen. Vor allem, wenn man sich vor Augen führt, welche Beträge für höchst durchschnittliche Serienmesser bezahlt werden, wenn sie nur irgendwo aus den USA kommen. Vermutlich werden die fünf True North Sets sehr schnell Liebhaber finden. Wenn nicht in Deutschland, dann in Japan oder den USA. Shopbestellung ist derzeit nicht möglich und wird es vermutlich auch nie sein. Wer Interesse an einem True North Set hat, sollte Sascha Stoelp auf den Sozialen Medien oder per E-Mail kontaktieren.

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An dieser Stelle erscheint normalerweise die Bewertung von Knife-Blog, doch die Verhandlung muss heute wegen Befangenheit des Richters ausfallen.

Ich habe das Projekt durch Planung und Realisation verfolgt und könnte möglicherweise nicht mit der gebotenen Objektivität urteilen.