Lange Zeit war das Böker Trapper der Inbegriff von Opas Taschenmesser. Handwerklich in Solingen hergestellt, hat es Generationen von Messerfans begleitet. Doch der veränderte Zeitgeist reduziert den Kundenkreis für Zweihandmesser mit Nagelhau auf eine kleine Schar von Traditionalisten. Der Nachfolger TRPPR steht vor der Tür und plötzlich klingt der Name mehr nach Hasseldeller¹ Gangsta-Rap als nach Taschenmesser. Teilhandwerklich hergestellt wird das Messer immer noch, aber damit enden die Gemeinsamkeiten. Nagelhau, Stahlplatinen und Werkzeugstahl werden von Titan, Amboina und MagnaCut abgelöst.
Inhalt und Übersicht
Werbung
„Alles muss raus!“ So hätte der Slogan heißen können, mit dem das Traditionsmodell Böker Trapper entrümpelt werden sollte. Tatsächlich war das Projekt als Renovierung geplant, endete aber als Kernsanierung. Zwischen dem Trapper von einst und dem TRPPR 2023 liegt ein gefühltes Jahrhundert. Entwarnung für die Fans klassischer Taschenmesser: Das „olle“ Trapper wird nicht eingestellt, sondern bleibt wie gewohnt im Programm.
Böker TRPPR
TRPPR hat Böker seinen neuen Gentleman Folder getauft. Gemeint ist natürlich „Trapper“ und genau so wird das Kürzel auch gesprochen. Elision nennt sich das Auslassen von Vokalen in der Linguistik. Um dem Leser die Besonderheit des Namens überzeugend vor Augen zu führen, werden die verbleibenden Konsonanten gerne in plakativen Großbuchstaben geschrieben. LNDN DRGS lässt grüßen.
Das Ganze ist weder neu noch besonders originell, aber bitte, es ist zumindest eine Abwechslung und definitiv besser als Messernamen, die über eine dröge Kombination aus Buchstaben und Zahlen nicht hinauskommen. Der Vorteil an der vokalsparenden Schreibweise ist, dass Leser unwillkürlich innehalten, denn der Sinn des Wortes erschließt sich nicht sofort und zwingt zu einem kurzen Moment des Nachdenkens. So bleibt der Name besser in Erinnerung – behaupten jedenfalls die Psycho-Fritzen aus der MRKTG-Abteilung.
Also Trapper, prima! Schon wieder lässt der Name stutzen. Trapper sind nordamerikanische Fallensteller und Pelztier-Jäger. Fraglos gibt es eine Menge Messertypen, die man am Gürtel oder in der Hosentasche eines Trappers vermuten könnte. Gentleman Folder stünden dabei allerdings wohl eher im südlichen Teil der Liste.
Für alle Fotos des TRPPR in diesem Artikel wurden frühe Prototypen abgelichtet, denn auf den Markt kommt der Trapper-Nachfolger erst Mitte Mai 2023. Die Messer sind vor dem Fototermin durch viele Hände gegangen, haben Schnitttests absolviert und besitzen daher Gebrauchsspuren. Wie auf den Bildern zu erkennen ist, sind die Griffschalen aus schwarz eingefärbten Amboina Holz zwar sauber angepasst, aber den umlaufenden Griffkanten fehlt der liebevolle Feinschliff und die Griffoberflächen wirken stumpf, da das Holz weder geölt noch poliert ist.
Für alle Nicht-Messer-Profis: Im Gegensatz zum Trapper ist das TRPPR ein Einhandmesser mit Klingenverriegelung und fällt somit unter das eingeschränkte Führverbot nach § 42a WaffG.
Folder mit Flipper sucht Gentleman mit Kohle
Das Böker TRPPR entspricht mit knapp 19 Zentimetern Gesamtlänge und gediegenem Äußeren der Vorstellung eines Gentleman Folders. Auch wenn der Begriff des „Gentleman Folders“ nirgendwo verbindlich definiert ist, erwartet man ein kleines Taschenmesser, das ebenso wertig wie wertvoll ist und dennoch distinguiert und unaufdringlich wirkt.
Oh Graus, das Böker TRPPR ist ein FLPPR! Ein Gentleman Folder per Flipper-Tap zu öffnen, galt und gilt vielen Messerfans als No-Go, ja geradezu als obszön. Doch in der jüngeren Vergangenheit haben zahlreiche Hersteller das Experiment gewagt und mit dieser Kombination erfolgreiche Messermodelle geschaffen. WE Knife hatte 2019 mit seinem Modell „Deacon“ die flippenden Gentleman Folder endgültig aus ihrer Schmuddelecke befreit.
Bei aktuellen Messermodellen stellt die Kombination aus hochwertigem Gentleman Folder und Flipper-Öffnung keinen Stilbruch mehr dar. Als Flipper ist die Klinge des Messers schnell mit einer Hand zu öffnen und Menschen mit sehr langen oder sehr kurzen Fingernägeln müssen nicht über Begegnungen mit dem Nagelhau fluchen.
Ausstattung, Technik, Ergonomie
Das Aufflippen der Klinge geht schnell, ist bequem und praktisch – auch beim Böker TRPPR. Ein leichter Impuls auf den Kicker lässt die kugelgelagerte Klinge in die geöffnete Position fliegen. Dort wird sie per Framelock verriegelt. Ebenso einfach kann die Verriegelung durch nach außen drücken der Lockbar entriegelt und mit den Fingern eingeklappt werden. Die Lockbar besitzt als Schutzmechanismus gegen Überdehnen einen Lockbar Stabilizer („Überdehnschutz“).
Damit das Titan der Lockbar nicht an der Klingenwurzel festklebt, ist ein auswechselbarer Stahleinsatz verbaut, der den Kontakt zur Klingenwurzel herstellt. Neben dem Vermeiden des gefürchteten „Sticky Lock“ kann dieses Konstruktionsprinzip das Leben des Taschenmessers verlängern. Sollte sich nach Jahren des Gebrauchs Klingenspiel einstellen, kann der Verschleiß preisgünstig durch Austausch des Stahleinsatzes beseitigt werden.
Die Ausstattung des Böker TRPPR entspricht so dem Stand der Technik bei hochwertigen Framelock Foldern. Der Rahmen des Messers ist aus Titan gefräst, ebenso der für dieses Modell entwickelte Taschenclip. Das klingt verdächtig nach einem Messer aus chinesischer Produktion, aber weit gefehlt, alle Arbeitsschritte bei der Klingenherstellung, Montage und Justage werden in Solingen durchgeführt.
Dazu gehört auch das Vorbereiten der Edelhölzer, beim TRPPR ist es das seltene Amboina Holz aus Indonesien. Das normalerweise helle Holz wird schwarz eingefärbt, was distinguiert wird und dem Anspruch des Messers als Gentleman Folder unterstreichen soll.
Die Oberflächen der Griffschalen weisen eine leichte Rundung auf. Das kommt der Handlage zugute, der Griff des Böker TRPPR kuschelt sich regelrecht in die Hand. Mit knapp zehn Zentimetern Grifflänge ist das TRPPR für durchschnittliche Männerhände ein Drei-Finger-Messer. Der kleine Finger liegt dabei hinter dem Griff und kann das Messer gegen Durchrutschen in der Faust nach hinten sichern.
Made in Germany
Ein Titan Framelock Folder, der weder Custom noch aus China ist, da muss man tatsächlich eine Weile suchen. Längst haben wir uns daran gewöhnt, dass Dienstleister aus dem Reich der Mitte die Messer produzieren und dann Namen und Logo der amerikanischen, deutschen oder italienischen Auftraggeber auf den Karton pappen.
Damit das TRPPR und zukünftige Messermodelle in der Solinger Manufaktur hergestellt werden können, musste Böker tief ins Portemonnaie greifen, in CNC-Technik und Bohrmaschinen investieren und neue Schleifmaschinen für die aktuellen Hochleistungsstähle einkaufen. Ohne externes Know-how, interne Schulungen und zusätzliches Personal ist das nicht zu stemmen.
Neben der handwerklichen Herstellung von Messern kann die Böker Manufaktur zukünftig auch teilhandwerklich moderne Schneidwaren in Deutschland produzieren. Die industrielle Herstellung von hochwertigen Messern in Deutschland ist in den letzten Jahren oft totgesagt worden. Auch von Knife-Blog. Doch der Patient lebt und räkelt sich wieder.
Werbung
Klinge und Klingenstahl
MagnaCut geht der Ruf eines Wunderstahls voraus. Knife-Blog hat MagnaCut bereits einen ausführlichen Spezialartikel gewidmet. Bei MagnaCut ist es erstmalig gelungen, drei gegensätzliche Eigenschaften in einem Klingenstahl für Messer zu vereinen. Bisher war ein Kompromiss unumgänglich, denn Härte (Schnitthaltigkeit, Schärfe), Zähigkeit (Bruchsicherheit) und Korrosionsträgheit stehen bei herkömmlichen Stählen in Konkurrenz.
Ein sehr harter Klingenstahl, wie D2 oder der pulvermetallurgische CPM-S35VN, lässt sich auf die Schärfe eines Rasiermessers schleifen und ist trotzdem schnitthaltig. Dafür sind Abstriche bei der Korrosionsträgheit hinzunehmen und/oder der Stahl ist für lange Klingen nicht zäh genug. Korrosionsresistente Stähle, insbesondere der seewasserresistente H-1, sind hingegen erheblich weicher, dadurch weniger schnitthaltig und zumeist noch nicht einmal sehr zäh.
Kurz gesagt: Wenn man eine der drei Eigenschaften des Messerstahls durch Änderungen am Legierungskonzept verbessert, verschlechtern sich die beiden anderen. Diese Abhängigkeiten galten jahrzehntelang als unabänderlich. Bis MagnaCut auf der Bildfläche erschien.
Die bisherigen Erfahrungen mit MagnaCut deuten darauf hin, dass der Stahl seinen Vorschusslorbeeren tatsächlich gerecht werden wird. Kein Wunder also, dass die Solinger ihren Manufaktur Modellen das Beste vom Besten spendieren möchten. Verglichen mit einer auf 59 – 60 HRC gehärteten Klinge aus Böhler M390 liegt die Zähigkeit einer Klinge aus MagnaCut rund 40 Prozent höher, wenn dieser Stahl auf 62,5 HRC gehärtet wird.
Der Unterschied klingt in nüchternen Zahlen wenig beeindruckend, tatsächlich ist der Unterschied aber enorm. Negatives ist von MagnaCut bisher nicht bekannt geworden, die Klingen brechen nicht nach ein paar Jahren und zerfallen auch nicht plötzlich zu Staub. Im Gegenteil, auch bei der Korrosionsträgheit hat MagnaCut gegenüber M390, S35VN und S45VN die Nase deutlich vorn.
Die Klinge des Böker TRPPR ist zeitlos, praktisch und weit entfernt vom bösen Rap. Wie beim Vorgänger Trapper ist die Klinge für die Verwendung im Alltag konzipiert. Sie besitzt einen bis ins obere Klingendrittel gezogenen Flachschliff. Auf Schnörkel und Zierrat aller Art verzichtet Böker. MagnaCut ermöglicht bei 63 HRC eine fein ausgeschliffene Schneide und im Zusammenspiel mit der 2,4 Millimeter schmalen Klinge wird der Gentleman Folder zum Schneidteufel.
Charakteristisch für die Klinge des TRPPR ist die lange, schmale Swedge, die hauptsächlich als gestalterisches Element dient. Ob der Klingenrücken im Bereich der Swedge bei den Serienmesser ebenso schmal ausfallen wird wie bei den Prototypen, bleibt abzuwarten.
Fazit und Praxis
Keine harten Rap-Beats, das Böker TRPPR ist sexy. Klein und leicht ist es auch. Egal ob Gesellschaftsanzug oder Abendgarderobe, das Messer trägt nicht auf. Dennoch ist es ein Statement in Sachen Stil und als moderner Gentleman Folder einfach als EDC für die leichten Aufgaben im Messeralltag. Halten wir uns also nicht mit diesem Gentleman-Ding auf, das Taschenmesser passt zu Fliege und Smoking ebenso wie zu knallbunten Shorts.
Die Entscheidung für einen individuell designten Taschenclip aus Titan ist eine gute Entscheidung für das Böker TRPPR und ein Muss für Taschenmesser, die als edle Gentleman Folder durchgehen wollen. Statt einer geriffelten Zunge hält eine polierte Kugel das Messer in der Hosentasche. Diese Konstruktion geht auf den amerikanischen Messermacher Todd Begg zurück. Durch die Keramik- oder Stahlkugel sitzt das Messer fest in der Tasche, ohne Saum und Stoff zu beschädigen oder gar aufzureißen.
Stolz prangt der Schriftzug „Böker Solingen“ auf dem Klingenrücken, ansonsten gegen die Solinger erfreulicherweise sparsam mit Lasergravuren um. Nur die Stahlsorte wurde auf die Klinge der Prototypen gelasert. Die MagnaCut-Klinge wird bei einem Messer dieser Größe nie in die Nähe ihrer Belastungsgrenze kommen, was den Zeitraum bis zum Nachschleifen deutlich vergrößern wird.
Der Verkaufsstart des Böker TRPPR ist auf den 15. Mai 2023 festgelegt. Der Preis steht heute schon fest: 299,- Euro wird ein Messerfan nach dem Kauf weniger im Portemonnaie haben. Vergleicht man diesen Preis mit aktuellen Titan-Framelock Foldern aus China, ist kein Aufschlag für „Made in Germany“ ersichtlich. Auch bei WE Knife, Realsteel und anderen Herstellern liegen Messer dieses Typs und dieser Qualitätsklasse ebenfalls im Bereich um 300,- Euro.
TRPPR und Trapper sind so grundverschieden, dass man beim besten Willen nicht von einer Weiterentwicklung sprechen kann. Dafür steht das Böker TRPPR für einen Messertyp, der in Deutschland bisher nur in Einzelstücken von Messermachern hergestellt wurde. Die Serienfertigung in der Manufaktur von Böker könnte dazu beitragen, dass der Slogan „Made in Germany“ auch bei Framelock Foldern eines Tages wieder Weltruf erlangt.
Werbung
Links und Bewertung
- Hersteller: Böker Manufaktur
- Bezugsquellen: Joe’s Messershop, Messerworld, MesserMaXX
- Klingenstahl: MagnaCut
- Knife-Blog Rubrik: Titan Framelock Folder
- Billboard: Elision in Band Names (in Englisch)
- Knife-Blog Artikel: Waffenrecht einfach erklärt
Technische Daten
- Bauart: Flipper / Framelock
- Klingenlänge: 81 mm
- Klingenstärke: 2,40 mm
- Klingenstahl: MagnaCut
- Gesamtlänge: 189 mm
- Griff: Titan / Black Amboina
- Gewicht: 70 g
Bildnachweis: Sofern nicht anders angegeben, liegen die Rechte an allen Fotos, Grafiken und Medien bei Knife-Blog Media.
¹ Als „Großwohnsiedlung“ bekanntgewordener Ortsteil von Solingen mit kommunalem Integrationszentrum.